12.10.25 –
Die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen möge beschließen:
Leitlinien Grüner Nahostpolitik
Präambel – Werte und Verantwortung:
In Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten, zur grundsätzlichen Herrschaft des Rechts und dem allgemeinen und humanitären Völkerrecht im Besonderen, darunter auch dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker;
Die universellen Menschenrechte sind unverhandelbar und unteilbar, und gelten für alle Menschen, unabhängig von Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Identität, sexueller Orientierung, Religion und Weltanschauung. Sie zu schützen und wirksam durchzusetzen, ist Kern unserer grünen Überzeugung.
Mit dem Völkerrecht und seinen Institutionen stehen wir ein für eine internationale Ordnung, die sich an universellen Menschenrechten, demokratischen Prinzipien und rechtsstaatlichen Verfahren orientiert.
Feststellend, dass jeder Staat und die internationale Gemeinschaft verpflichtet sind zum Schutz der Bevölkerungen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne einer Schutzverantwortung.
In Anbetracht der historischen Schuld und Verantwortung Deutschlands für den Holocaust und der daraus erwachsenden Verpflichtung, das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel als Heimstätte von Jüd*innen aus aller Welt zu schützen, ebenso wie jeder Form von Antisemitismus und Judenhass entschlossen entgegenzutreten;
Im Bewusstsein, dass diese historische Verantwortung auch eine Verpflichtung gegenüber den universellen Menschenrechten umfasst, deren Missachtung im Holocaust gipfelte;
Geleitet von dem Grundsatz der menschlichen Sicherheit, der die Sicherheit des Individuums – seine Freiheit von existenzieller Furcht und die Freiheit von Not – in den Mittelpunkt stellt und anerkennt, dass die Sicherheit von Israel*innen und Palästinenser*innen untrennbar miteinander verbunden und damit gegenseitige Voraussetzung für eine nachhaltige Friedenslösung sind;
Bekräftigend die Grundwerte von Bündnis 90/Die Grünen: Frieden, Menschenrechte, demokratische Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit, Völkerrecht, Rechtsstaatlichkeit und der Sicherung der Lebensgrundlagen als Leitlinien unserer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik;
Tief erschüttert über die brutalen Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023, die dabei verübten Massaker an israelischen Zivilist*innen und das Festhalten und Ermorden von Geiseln;
Entschieden verurteilend das Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen, das zu unzähligen Opfern geführt hat, die große Mehrheit von ihnen Zivilist*innen – darunter in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen, Kinder und besonders vulnerable Gruppen – sowie bewusste Angriffe auf humanitäre Helfer*innen und Journalist*innen, wiederholte Vertreibungen, die Zerstörung ziviler Infrastruktur, die Blockade humanitärer Hilfe – mithin des Aushungerns, die eine humanitäre Katastrophe ausgelöst hat;
Erneuernd unsere Verurteilung der anhaltenden Bedrohung des Staates Israel sowie die Angriffe und den Terror gegen seine Bevölkerung;
Verurteilend die Taten aller Akteur*innen, die einer friedlichen Lösung entgegenstehen – insbesondere den Terrorismus der Hamas und anderer Gruppierungen, die Israels Existenzrecht gewaltsam negieren, ebenso die völkerrechtswidrigen Handlungen und Kriegsverbrechen der israelischen Regierung, die zu unermesslichem Leid der Zivilbevölkerung geführt haben;
Verurteilend, dass der anhaltende völkerrechtswidrige Siedlungsbau und Landraub in den besetzten Gebieten, die geduldete und teilweise unterstützte Gewalt von Siedler*innen, die politische Unterdrückung moderater Kräfte auf palästinensischer Seite und die Abwesenheit von Verhandlungen den Konflikt weiter verschärfen, die Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung und jede andere Friedenslösung akut gefährden, sowie dadurch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie systematisch zerstören;
Überzeugt, dass nur eine auf Gerechtigkeit, Kompromiss und gegenseitigem Respekt basierende Friedensvereinbarung – insbesondere die Umsetzung der Vision von zwei Staaten, Israel und Palästina, die Seite an Seite in anerkannten Grenzen leben – den Menschen beider Seiten auf Dauer Sicherheit, Freiheit, Gleichberechtigung und Würde garantieren kann;
In der Überzeugung, dass eine nachhaltige Friedens- und Sicherheitsarchitektur für die gesamte Region nur durch die Einbindung aller friedensrelevanten Akteur*innen in einen multilateralen Prozess erreicht werden kann;
Feststellend, dass die internationale Gemeinschaft – inklusive der Europäischen Union und Deutschlands – Verantwortung trägt, neue konstruktive Wege aus der festgefahrenen Situation zu finden, anstatt tatenlos zuzusehen, wie der Konflikt periodisch aufflammt und unsägliches Leid bringt;
Entschlossen, die Grundsätze einer werteorientierten, feministischen und vorausschauenden Außenpolitik in Bezug auf die Region Nahost konsequent anzuwenden, um zu Deeskalation, Konfliktlösung und Aufbau von Vertrauen beizutragen;
Warnend, dass massive Desinformation die Konflikte im Nahen Osten mitprägt;
Über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinaus Schritte zu einer umfassenderen Friedensordnung im Nahen und Mittleren Osten unter anderem durch regionale Dialogformate unterstützend – etwa im Rahmen eines Helsinki-Prozesses für den Mittleren Osten, in dem Sicherheitsgarantien, Rüstungsbegrenzung, wirtschaftliche Kooperation, Klima- und Umweltkooperation und präventive Sicherheitspolitik verhandelt werden könnten – dies verbunden mit dem Ziel der Schaffung einer Region ohne Massenvernichtungswaffen;
beschließt die Bundesdelegiertenkonferenz folgende Leitlinien für die Grüne Nahostpolitik:
Verhältnis zu Israel und Verhältnis zu Palästina
Die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel ist nach der Shoah keine Selbstverständlichkeit - sie ist ein Geschenk, das maßgeblich auch getragen ist von den tiefen gesellschaftlichen Banden. In Deutschland leben außerdem zahlreiche Menschen mit familiären, freundschaftlichen und emotionalen Verbindungen in die palästinensischen Gebiete und die gesamte Region. Ihre Sorge um die Menschen in Gaza und der ganzen Region, ihre Trauer um die zivilen Opfer gehören zu unserem Land und teilen wir.
Bündnis 90/Die Grünen treten für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung ein. Nur diese bietet die Grundlage, das Recht auf Selbstbestimmung beider Völker zu erfüllen – den Fortbestand Israels als demokratischen Staat und sichere Heimstätte für Jüd*innen aus aller Welt und die Schaffung eines souveränen, demokratischen Staates Palästina. Deutschland soll sich mit Nachdruck gegenüber allen Beteiligten dafür einsetzen, dass diese Perspektive offengehalten und aktiv angestrebt wird. Ein einseitiger Bruch jedweder Seite mit der Zwei- Staaten-Prämisse wird abgelehnt, ebenso das strategische Untergraben einer politischen Lösung durch die israelische Regierung durch Siedlungen, die Behinderung palästinensischer Politiker*innen oder die bewusste Stärkung radikaler Kräfte wie der Hamas.
Die besondere historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels bleibt unverrückbarer Grundsatz grüner Politik. Das Existenzrecht Israels ist bedingungslos und nicht verhandelbar. Die Grünen stehen ein für Israels Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta unter Berücksichtigung der jeweils anwendbaren Normen des humanitären Völkerrechts. Wir benennen aber, wenn militärisches Vorgehen diesen Rahmen verlässt, wie es in Gaza passiert.
Zugleich verstehen wir Sicherheit immer umfassend und im Sinne der menschlichen Sicherheit. Wir wirken politisch darauf hin, dass Sicherheit nicht nur militärische Abwehr von Bedrohungen und damit auch die Befähigung zur Abwehr von Bedrohungen umfasst, sondern auch friedliche Koexistenz und Einhaltung von Menschenrechten, Völkerrecht und rechtsstaatlichen Prinzipien in der Region. Menschliche Sicherheit bedeutet in allererster Linie ein Verständnis von Sicherheit, das von jedem einzelnen Menschen ausgeht. Deswegen muss Sicherheit für alle Menschen in der Region, für Israelis und Palästinenser*innen, kommen.
Zugleich besteht für Deutschland auch die historisch begründete politische Verantwortung, für das Völkerrecht einzutreten, sowie auf die Vermeidung von Krieg und Gewalt, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen hinzuwirken und für bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung einzutreten. Das ist auch eine Lehre aus der unermesslichen Zerstörung, dem unermesslichen Leid, das Diktatur und Weltkrieg über die Staatengemeinschaft gebracht hatten.
Diese Pflichten bestehen nicht alternativ zueinander und sind kein Widerspruch, sie bedingen sich gegenseitig, gelten gleichzeitig und umfassen neben der historischen und moralischen, auch die rechtliche Verantwortung Deutschlands für die Einhaltung des (humanitären) Völkerrechts und der Menschenrechte. Deutschland muss sich – auch und gerade aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem israelischen Staat und seiner Bürger*innen – zu den aus dem Völkerrecht ergebenden Verpflichtungen bekennen und alle nötigen Maßnahmen treffen, beispielsweise die Anordnungen des IGH zur Lage in Gaza umsetzen.
Für uns Grüne heißt das: an der Seite Israels stehen, wenn es bedroht wird, und auf Frieden und die Einhaltung des allgemeinen und humanitären Völkerrechts hinzuwirken, weil dauerhaft Sicherheit nur durch politische Lösungen zu erreichen ist. Solidarität mit Israel heißt auch, die demokratische Zivilgesellschaft und politische Opposition verstärkt zu unterstützen, wenn die Regierung demokratische Strukturen infrage stellt und beschädigt. Unabhängig von wechselnden Regierungen und dem aktuell schwer belasteten deutsch-israelischen Verhältnis bleibt Deutschlands Schutzgarantie für das Land und die Menschen erhalten.
Auch wenn Deutschland nicht die gleiche, historisch bedingte, Partnerschaft mit Palästina verbindet, so verpflichtet uns jedoch unsere Geschichte auch zum absoluten Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts, unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese Rechte gilt es immer zu verteidigen, insbesondere aber angesichts der Kriegsverbrechen der israelischen Regierung im Gazastreifen und dem Leiden der palästinensischen Bevölkerung.
Auch gegenüber der palästinensischen Führung muss klargestellt werden, dass nur Gewaltverzicht, Achtung der Menschenrechte und eigene demokratische Strukturen den Weg zu Eigenstaatlichkeit ebnen. Wir unterstützen legitime, demokratische Regierungsstrukturen in Palästina und die dringend notwendige Reform dieser Strukturen. Dass terroristische Vereinigungen wie die Hamas in einer möglichen Nachkriegsordnung und in den palästinensischen Regierungsstrukturen keine Rolle spielen dürfen, ist selbstverständlich.
Angesichts einer sich ändernden Weltordnung und zahlreichen Partnern, deren Regierungen von Rechtsextremismus geprägt sind, fordern wir eine Strategie zum Umgang mit Autokratien und sich autokratisierenden Staaten, insbesondere eigentlichen Partnern, zu entwickeln.
Handhabung akuter Konfliktphasen
Wir erkennen, dass die bisherige Politik der Appelle und der stillen Diplomatie im Verhältnis zur israelischen Regierung weitgehend gescheitert ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer aktiveren Außenpolitik, die, vorzugsweise im EU-Verbund – zuvorderst initiiert und vermittelt, aber auch abgestufte Zwangsmaßnahmen, Sanktionen und andere Einschränkungen einsetzt. Die deutsche Bundesregierung muss hier ihre Blockade – z.B. gegen das Maßnahmenpaket der Kommission - aufgeben und darf sich nicht weiter europäisch und weltweit isolieren.
Die Grünen setzen das Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Nahostpolitik. Wir verlangen von allen Konfliktparteien, internationales Recht und insbesondere das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Jegliche Form von Annexion und Vertreibung ist völkerrechtswidrig und wir lehnen sie kategorisch ab. Terroranschläge wie jene vom 7. Oktober 2023 werden ohne jede Relativierung verurteilt. Kriegsverbrechen, sei es seitens der Hamas oder der israelischen Regierung, dürfen nicht toleriert werden. Ein Waffenstillstand, das Ende des Krieges, die Freilassung der Geiseln und der Zugang für humanitäre Hilfe haben oberste Priorität.
Gerade weil wir Israels Recht auf Selbstverteidigung verteidigen, erwarten wir, dass israelische Militäroperationen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Schonung von Zivilisten strikt beachten. Im Zuge der aktuellen Kriegsführung verstößt die israelische Regierung auf vielen Ebenen gegen diese Grundsätze des humanitären Völkerrechts und begeht Kriegsverbrechen, sowohl durch eine erkennbare Änderung der Einsatztaktiken, die Zielauswahl, Angriffe auf Schutz- und Hilfesuchende, Journalisten und humanitäre Helfer, wiederholte Vertreibungen und die systematische Zerstörung von ziviler Infrastruktur und Blockade humanitärer Hilfe und damit dem Einsatz von Hunger als Waffe.
Wir begrüßen und unterstützen alle internationalen Initiativen, Vorfälle von Völkerrechtsbruch (z.B. Angriffe auf Zivilisten, Geiselnahmen, Einsatz von verbotenen Waffen und fehlende oder eingeschränkte Versorgung besetzter Gebiete mit humanitärer Hilfe) unabhängig untersuchen zu lassen. Deutsche Nahostpolitik soll aktiv dafür werben, dass Verstöße transparent aufgeklärt und geahndet werden – etwa durch Zusammenarbeit mit UN-Untersuchungskommissionen oder dem Internationalen Strafgerichtshof.
Wir fordern auch deswegen eine verstärkte Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), um ihn wirksam vor Sanktionen Dritter zu schützen und die Einhaltung des Römischen Statuts zu stärken, auch im Hinblick auf die Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Niemand steht über dem Gesetz. Gerade jetzt braucht es ein klares Bekenntnis Deutschlands zu den unabhängigen internationalen Rechtsinstitutionen. Denn das Recht und seine Institutionen sind so stark wie diejenigen, die für es einstehen.
Deutschland soll sich aktiv und rechtsstaatlich an Verfahren internationaler Institutionen beteiligen – etwa durch Rechtshilfe, fundierte Stellungnahmen und Vollstreckungshilfe – ohne die Unabhängigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten zu berühren. Straftaten, die Frieden und Sicherheit untergraben (insbesondere Kriegsverbrechen, Terrorismus und Aufstachelung zum Völkermord), soll Deutschland begegnen, wo rechtlich möglich, mit gerichtlichen Mitteln und ergänzend mit gezielten EU-Sanktionen wie Einreiseverboten und dem Einfrieren von Vermögenswerten.
Wir fordern gegenüber der israelischen Regierung die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, Waffenruhen, Waffenstillstand, Schutz und das Zulassen der Versorgung der Zivilbevölkerung, wie es auch im Rahmen der G7-Prinzipien (keine Vertreibung der Bevölkerung, keine dauerhafte Besatzung Gazas, keine Gebietsannexion, keine Entscheidungen über Gazas Status ohne palästinensische Beteiligung) vereinbart wurde.
Wir fordern Druck auf die Unterstützerstaaten der Hamas wie den Iran, damit sie ihre Herrschaft niederlegt und dauerhafte Friedensverhandlungen beginnen können. Das setzt die sofortige bedingungslose Freilassung aller Geiseln voraus.
Wirkung des Nahostkonflikts auf die Innenpolitik
In Deutschland wie in Europa insgesamt verpflichtet uns unsere Geschichte und unser Werteverständnis, jeglicher Form von Diskriminierung, Judenfeindlichkeit und anti-muslimischem Rassismus entschlossen entgegenzutreten. Der anhaltende Krieg in Nahost wirkt sich erheblich auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland aus. Jüdische, muslimische, israelische und palästinensische Communities sind Teil unserer vielfältigen Gesellschaft. Für ihren Schutz und ihre Entfaltung setzen wir uns ein.
Angesichts des starken Aufflammens von antisemitischer und antiisraelischer Polemik und Angriffen gegenüber jüdischen Bürger*innen und jüdischen Einrichtungen wie auch angesichts des Aufkommens islamfeindlicher Parolen und Agitationen gegenüber muslimischen Bürger*innen, ganz besonders der vielfältigen palästinensischen Community in Deutschland, und muslimischen Einrichtungen stellen wir fest: Wir dulden weder antisemitische Hetze, Holocaustrelativierungen oder Angriffe auf jüdische Bürger*innen und Einrichtungen noch das Aufflammen von antimuslimischen Rassismus und damit einhergehenden Ausgrenzungen, Hetze und Angriffe gegen Menschen arabischer und palästinensischer Herkunft.
Wir stellen uns gegen jede Form der Instrumentalisierung des Kriegs in Nahost für antisemitische oder anti-muslimische Hetze. Menschen dürfen nicht als unfreiwillige Repräsentanten einer Konfliktpartei in Haftung genommen werden oder unter Generalverdacht gestellt werden.
Die Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit müssen auch in aufgeheizten Zeiten gewährleistet bleiben. Gerade dazu müssen sichere Diskursräume geschaffen werden, in denen alle Menschen, besonders Menschen mit Verbindungen in die Nahostregion, ohne Angst vor Diskriminierung oder Gewalt teilhaben können.
Wir setzen uns für eine offenere und differenziertere öffentliche Debatte ein, die verschiedene Perspektiven zulässt, ohne Extremismus zu fördern. Wir differenzieren klar zwischen strafrechtlich relevanten Aussagen und jenen, die uns nicht gefallen mögen, aber im Zuge der Meinungsfreiheit zulässig und zu diskutieren sind. Die Kriminalisierung friedlicher politischer Meinungsäußerungen lehnen wir ab, ebenso wie die Verherrlichung von Gewalt und Terror. Wir stellen fest, dass es im öffentlichen Raum vielfach zu einer Verengung des Diskurses und einem erschreckenden Fehlen von Empathie für die jeweils andere Seite kommt.
Wir unterstützen deswegen insbesondere Initiativen, die:
Deutsche Innenpolitik und Integrationsarbeit müssen dafür sorgen, dass Konflikte in Nahost nicht zu unversöhnlichen Frontstellungen zwischen verschiedenen Communities in Deutschland führen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion sicher leben und ihre Meinung frei äußern können.
Friedensprozesse
Die derzeit blockierten Friedensverhandlungen müssen wiederbelebt werden. Deutschland soll sich gemeinsam mit Partnern in der EU für eine internationale Nahost-Friedenskonferenz einsetzen, die den derzeit blockierten Friedensprozess wiederbelebt. Hierbei ist an ein Format unter Schirmherrschaft der UNO oder des Nahost-Quartetts (ggf. erweitert um regionale Akteure wie Ägypten, Jordanien, Golfstaaten) zu denken. Die Initiativen von Frankreich und Saudi-Arabien unterstützen wir. Ziel muss es sein, direkte Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Vertretung (unter Einbindung der palästinensischen Autonomiebehörde, der PLO und – falls möglich – moderater Kräfte aus Gaza) wieder in Gang zu bringen. Die Konferenz soll einen neuen Rahmen schaffen, der von beiden Seiten akzeptiert wird und realistische Zeitpläne für Schritt-für- Schritt-Lösungen vorgibt.
Bestehende Verhandlungen, der Arab Peace Plan und die aktivere Zusammenarbeit regionaler Partner*innen wird ausdrücklich unterstützt.
Völkerrechtswidrige Vertreibungspläne, wie der „Riviera Plan“ von Trump und Netanjahu werden verurteilt.
Im Zentrum von Verhandlungen müssen stehen:
Zusätzlich soll im EU-Verbund ein DDR-Prozess (Disarmament, Demobilization, Reintegration) angestoßen werden, welcher sich insbesondere an Kämpfer terroristischer Gruppierungen in Gaza und der West Bank sowie radikale und bewaffnete Siedler richtet. Hierbei beziehen wir uns auf die diesbezügliche EU- Strategie, welche diverse Instrumente zur Umsetzung bereithält.
Die Bundesdelegiertenkonferenz unterstreicht, dass Deutschland und Europa bereit sein sollten, für eine solche Initiative diplomatisches Kapital einzusetzen und auch Gegenwind in Kauf zu nehmen. Gerade gegenüber einer unkalkulierbaren US- Politik muss Europa eigenständiger handlungsfähig sein und seine Vorstellungen von einer gerechten Friedenslösung einbringen. Die Europäische Union soll ihre Rolle aus der Zuschauerposition lösen und zum aktiven Mitgestalter werden – auch durch geschlossenes Auftreten gegenüber den Konfliktparteien und die deswegen notwendige Aufgabe der deutschen Blockade. Ziel ist es, den derzeitigen Stillstand zu überwinden und den Teufelskreis von Gewalt ohne politische Perspektive zu durchbrechen.
Hierzu fordern wir ebenso in Verbund mit der EU einen Transitional Justice Prozess in Israel und Palästina anzustoßen. Dieser basiert auf den grundlegenden Prinzipien des Rechts auf Wahrheit, Rechts auf Gerechtigkeit, Rechts auf Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung und sollten bereits im Rahmen des Friedensprozesses angewandt werden.
Ein wesentlicher Fortschritt für regionalen Frieden waren die Abraham Accords, die 2020 diplomatische Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten begründeten. Wir begrüßen diese Accords als Meilenstein für wirtschaftliche Kooperation und Sicherheitsarchitektur in der Region und unterstützen zusätzlich die IMEC-Initiative, die multilaterale Entwicklungsprojekte in Infrastruktur, Bildung und Technologie anstrebt. Diesen Initiativen müssen weitere Folgen, die die Stärkung der Zivilgesellschaft, der zivilen Konfliktbearbeitung, den innergesellschaftlichen Dialog und zur Sicherung der Grundbedürfnisse im Mittelpunkt stellen. Dabei muss die gleichberechtigte Teilhabe aller Akteur*innen, insbesondere der Palästinenser*innen, an diesen Programmen gesichert sein, um nachhaltiges Vertrauen und Wohlstand zu fördern. Wir würdigen auch die Bemühungen Saudi- Arabiens zur Normalisierung seiner Beziehungen zu Israel. Grundsätzlich dürfen alle Prozesse und Friedenslösungen nicht über die Köpfe der Palästinenser*innen erfolgen, sondern müssen ihre Rechte und Perspektiven integraler Bestandteil jeglicher Verhandlungslösung sein.
Israelische völkerrechtswidrige Angriffe auf katarisches Staatsgebiet verurteilen wir – auch, weil sie Prozesse, Verhandlungen und Normalisierung in der Region gefährden.
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina darf nicht isoliert betrachtet werden: Ein Frieden dort würde auch die Zusammenarbeit Israels mit der arabischen Welt enorm erleichtern. Umgekehrt kann die Verbesserung arabisch- israelischer Beziehungen genutzt werden, um Druck auf beide Seiten auszuüben, an einer Lösung mit den Palästinensern zu arbeiten – hier können neue Allianzen als Vermittler auftreten. Wir unterstützen deshalb multilaterale Ideen, z.B. eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten nach Vorbild der KSZE, an der alle relevanten Akteure – einschließlich Iran und Türkei – an einem Tisch sitzen. Auch Klima- und Umweltkooperation könnten Friedensdividenden bringen und sollten Teil einer präventiven Sicherheitspolitik sein.
Allgemein sollte sich das Engagement Deutschlands in der Region an folgenden Leitlinien orientieren:
Wesentlicher Treiber der Bedrohung und der Destabilisierung der gesamten Region ist das iranische Regime, dessen Bevölkerung zugleich Opfer massivster Menschenrechtsverletzungen wird. Dabei ist das Regime zugleich durch seine Unterstützung Russlands und dem gezeigten Willen zum Einsatz von ballistischen Langstreckenraketen eine signifikante Bedrohung unserer europäischen Sicherheit und des Verteidigungskampfes der Ukrainer*innen. Das iranische Regime ist daher als einer der Gründe der strategischen Kooperation zwischen Deutschland und Europa sowie Israel zu begreifen. Wir unterstützen daher Maßnahmen, die das weitere Streben des iranischen Regimes nach einer nuklearen Bewaffnung auf diplomatischem Wege verhindern, so auch rechtlich festgelegte Wege wie die Aktivierung des Snap-Back Mechanismus. Gleichzeitig unterstützen wir weiterhin die rechtssichere Terrorlistung der Revolutionsgarden auf EU-Ebene und alle Sanktionsmaßnahmen, die den iranischen Machtapparat treffen. Des Weiteren unterstützen wir weitere Missionen zur Bekämpfung des Waffenschmuggels durch den Iran an verschiedene Gruppen und Terrororganisationen.
Dies gilt auch für die Bedrohungen durch die durch das iranische Regime unterstützte Huthi-Miliz.
Der Jemen erlebt eine der schwersten humanitären Krisen weltweit; Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen, leiden an Hunger und wurden vertrieben. Angriffe der Huthi-Miliz auf Handelsschiffe im Roten Meer unterbrechen nicht nur Versorgungskorridore, sondern gefährden auch die Stabilität Ägyptens, dessen Staatshaushalt durch Einbußen am Suezkanal stark belastet wird. Wir fordern den sofortigen Stopp des Beschusses von Schiffen und israelischem Kernland, die europäische Listung der Huthi-Miliz als Terrororganisation sowie die Ausweitung europäischer Initiativen zur Linderung der humanitären Katastrophe und zur Sicherung der Seerouten durch das Rote Meer.
Wir begrüßen den Machtwechsel in Syrien und hoffen auf weitere diplomatische Annäherungen zwischen Israel und der neuen Führung in Damaskus und unterstützen sie weiter im Rahmen der EU und UN in einem friedlichen und demokratischen Transformationsprozess.
Angesichts örtlicher Gewalt mahnen wir erneut an, dass alle Syrer*innen – inklusive Kurd*innen, Jesid*innen, Drus*innen, Alawit*innen und Christ*innen – am politischen Prozess beteiligt und ihre Rechte und Schutz gewahrt werden. Um dies zu ermöglichen, erwarten wir von der Türkei, und dem iranischen Regime die syrische Integrität zu achten und Waffen- und Finanzmittellieferungen aus dem Iran an die Hisbollah zu unterlassen. Zugleich fordern wir den Rückzug aller israelischen Truppen westlich der „Alpha-Linie“ des UNDOF-Mandatsgebietes und von der Führung in Damaskus die wirksame Übernahme und Wahrnehmung der Sicherheitsverantwortung und Achtung der vereinbarten Selbstverwaltungsrechte der Kurd*innen in Nord- und Ostsyrien.
Mit Blick auf den schwindenden Einfluss der UN und seiner Organisationen im Nahen Osten bedauern wir das bevorstehende Ende der UNIFIL-Mission zum 31. Dezember 2026 und fordern den Libanon beim Aufbau und der Stärkung seiner Streitkräfte weiter und intensiv zu unterstützen, um auch den zu begrüßenden libanesischen Initiativen zur wirksamen und dauerhaften Entwaffnung der Hisbollah und weiterer Terrororganisationen wie der Hamas zum Erfolg zu verhelfen. Wir verurteilen jegliche Bedrohung israelischen Staatsgebietes, fordern Israel jedoch zugleich auf, sich bei fortschreitendem Erfolg der libanesischen Armee aus dem libanesischen Staatsgebiet vollständig zurückzuziehen und die Entwaffnung der Terrororganisationen kooperativ zu fördern. Wir ermutigen beide Staaten analog zu den Verhandlungen der Seegrenze und der Gasförderung offene Grenzverlaufsstreitigkeiten beizulegen und fordern die Bundesregierung auf, dies aktiv zu begleiten.
Siedlungsbau
Die Grünen fordern, bilateral und in der EU, mit allem Nachdruck auf einen sofortigen Stopp der Landnahmen und völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik, wie im IGH-Gutachten vom 19. Juli 2024 festgestellt, in besetzten Gebieten hinzuwirken. Die fortgesetzte Ausweitung israelischer Siedlungen im Westjordanland, insbesondere die zunehmende Zerstückelung des besetzten palästinensischen Gebietes – zuletzt in historisch beispiellosem Ausmaß, zerstört die geografische Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung und verletzt geltendes Völkerrecht.
Wir begrüßen, die deutliche Kritik europäischer Partner und bisheriger Bundesregierungen an der israelischen Siedlungspolitik. Dies muss jedoch mit Konsequenzen unterlegt werden: Deutsche Außenpolitik muss negative Anreize setzen, um die Kosten der fortgesetzten Besatzung zu erhöhen, wie in Teilen bereits durch die EU erfolgt (z.B. Ausschluss von Siedlungen von bilateraler Zusammenarbeit, Differenzierung bei EU-Förderprogrammen, Ausweitung der Sanktionierung individueller extremistischer Siedler oder Siedlerorganisationen, Aussetzung des Handels im Einklang mit internationaler Rechtsprechung, EU- Importverbot für Produkte aus israelischen Siedlungen).
Das EU-Assoziationsabkommen stellt bereits einen starken positiven Anreiz zur Einhaltung des Völkerrechts dar, der in der Vergangenheit nicht zu einer Unterlassung der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik geführt. Wir unterstützen daher die Resolution des Europäischen Parlaments vom 11. September 2025 in der teilweisen Beschränkung des Abkommens, sofern es nicht die Zusammenarbeit mit der israelischen Zivilgesellschaft und Forschung betrifft.
Wichtig ist eine klare Botschaft: Deutschland erkennt keine einseitigen Grenzverschiebungen an. Alle endgültigen Statusfragen – Grenzen, Jerusalem, etc. – können nur durch Verhandlungen gelöst werden, nicht durch faktische Schaffung vollendeter Tatsachen auf dem Boden, welche Gefahr laufen eine Zweistaatenlösung zu verunmöglichen. Entsprechend sollen deutsche Stellen auch fortfahren, völkerrechtswidrige Maßnahmen (wie z.B. die völkerrechtlich nicht anerkannte Annexion Ost-Jerusalems und der Golanhöhen, oder eine mögliche Einverleibung weiterer Teile der Westbank) diplomatisch nicht anzuerkennen und in internationalen Gremien zu thematisieren.
Staat Palästina
Bündnis 90/Die Grünen stehen weiterhin zu ihrem Ziel, einen souveränen Staat Palästina diplomatisch anzuerkennen im Sinne des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts. Die Bundesdelegiertenkonferenz spricht sich dafür aus, diese Anerkennung aktiv vorzubereiten, nicht erst als Teil eines politischen Prozesses, sondern als jetzt notwendiges Signal. In der Europäischen Union soll für eine koordinierte Anerkennung Palästinas geworben werden.
Wir unterstützen den UN-Beschluss vom 29. Juli 2025 unter dem Titel „New York Declaration on the Peaceful Settlement of the Question of Palestine and the Implementation of the Two-State Solution“, sowie die UN-Resolution vom 12. September 2025 mit dem Titel „General Assembly Endorses New York Declaration, Charting Path to Peace“ als richtungsweisend für die internationale Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung.
Das Eintreten für einen palästinensischen Staat bedeutet keinen Widerspruch zur Solidarität mit Israel, sondern ist deren notwendige Ergänzung: Nur wenn die Palästinenser*innen politische Selbstbestimmung erlangen, kann auch Israel auf Dauer gesichert sein, was es sein will – ein demokratischer jüdischer Staat. Die Möglichkeit zur Mitbestimmung in einem souveränen palästinensischen Staat schafft eine glaubwürdige Alternative zu Militanz, fortgesetzter Besatzung und asymmetrischer Kriegsführung.
Unabhängig vom Zeitpunkt einer formalen Anerkennung sollte Deutschland weiterhin palästinensische Staatlichkeitsbestrebungen praktisch fördern – z.B. durch Unterstützung beim Aufbau von Institutionen, Ausbilden von Verwaltung und Rechtsstaat, Förderung demokratischer Prozesse und auch entsprechendem Reformdruck auf die palästinensische Autonomiebehörde, sowie die ökonomische Perspektive.
Weiterhin sollte sich Deutschland an praktisch ausführbaren internationalen Bestrebungen beteiligen, die Frieden und palästinensische Staatlichkeit mit einem nachhaltigen Umsetzungsplan in Aussicht stellen. Anträge in der UN- Generalversammlung zur Zweistaaten-Lösung sollen unterstützt werden.
Die Unterminierung der palästinensischen Staatlichkeit durch Annexion, aber auch durch Machtgewinne extremistischer Gruppen in den palästinensischen Gebieten muss verhindert und sanktioniert werden.
Palästinensische Akteure
Die Grünen erkennen die Vielfalt der palästinensischen Gesellschaft und Diaspora an und schätzen insbesondere auch das Engagement der progressiven, jungen, feministischen Gruppen und Bewegungen, die sich für einen intersektionalen, gerechten Frieden mit Israel einsetzen.
Wir stärken die bi- und multilaterale Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde als Vertretung des palästinensischen Volkes und ihre Rolle in der internationalen Gemeinschaft. Den notwendigen demokratischen Reformprozess der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstützen wir und fordern wir ein.
Wir unterstützen die Forderung aus der Resolution der UN-Generalversammlung vom 12.09.2025, dass alle bewaffneten Gruppierungen ihre Waffen abgeben und bekennen uns zur Nichteinbindung terroristischer Akteur*innen. Allerdings erkennen wir an, dass humanitäre Kontakte und indirekte Verhandlungen (wie über Vermittler zwecks Waffenruhe oder Gefangenenaustausch) notwendig sind, um Menschenleben zu retten. Diese sollen auch weiterhin geführt werden. Gleichzeitig nehmen wir die Gefahr der ungerechtfertigten Diffamierung und Delegitimierung zivilgesellschaftlicher palästinensischer und palästina-solidarischer Akteur*innen unter dem Deckmantel der Terrorismusunterstützung wahr und treten für deren Schutz ein.
Langfristig setzen wir Grünen darauf, dass nur die palästinensischen Kräfte internationale Anerkennung genießen sollen, die bereit sind, in einen demokratischen, politischen Prozess einzutreten. Zugleich rufen wir die israelische Regierung und die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Palästinensische Autonomiebehörde nicht zu schwächen. Das betrifft sowohl notwendige Finanzmittel als auch den abzuwehrenden Eingriff durch Behinderung palästinensischer Politiker*innen oder die bewusste Stärkung radikaler palästinensischer Kräfte.
Eine Politik der Differenzierung ist wichtig: Kooperation mit Friedensbereiten Schutz und Stärkung von Journalist*innen und medizinischem Personal bei gleichzeitiger Verurteilung von Instrumentalisierung dieses Schutzstatus durch terroristische Akteur*innen. Wir begrüßen ausdrücklich auch Initiativen in Israel, Palästina und der weiteren Region, die den Dialog suchen und regen an, dass die deutsche und europäische Diplomatie solche Begegnungen aktiv fördert.
Rüstungsexporte
Die Bundesdelegiertenkonferenz bekräftigt die Linie, dass Rüstungsexporte restriktiv, gemäß den Grund- und Menschenrechten, sowie dem allgemeinen Völkerrecht, abgeschlossener völkerrechtlicher Verträge und Nichtverbreitungsvereinbarungen gehandhabt werden müssen.
Konkret bedeutet dies: Keine deutschen Waffen in Krisenregionen oder an kriegführende Parteien, wenn die Gefahr missbräuchlicher und völkerrechtswidriger Verwendung besteht. Das ist nicht nur politische Pflicht, entspricht den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern sowie dem Gemeinsamen Standpunkt der GASP, sondern folgt auch aus völkerrechtlichen Verpflichtungen – etwa dem humanitären Völkerrecht und dem Arms-Trade-Treaty – sowie aus nationalem Recht, insbesondere Artikel 26 Absatz 2 Grundgesetz, dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz.
Bezogen auf Israel erkennen wir zwar dessen besondere Sicherheitslage an. Waffenlieferungen an Israel dienen dem legitimen Recht auf Selbstverteidigung und der Existenzsicherung und sind daher im ersten Bewertungsschritt gerechtfertigt. Jedoch gilt auch hier: Waffen, die im Rahmen der unzähligen Verletzungen humanitären Völkerrechts in Gaza eingesetzt werden können, dürfen nicht geliefert werden. Bei andauernden schwerwiegenden Verletzungen müssen auch bestehende Ausfuhrgenehmigungen widerrufen oder ausgesetzt werden. Eine Unterscheidung zwischen defensiven und anderen Waffen kennt das Recht hier nicht. Auch ist es rechtlich irrelevant, dass solche Waffen möglicherweise gleichzeitig zur legitimen Landesverteidigung eingesetzt werden.
Wenn das eindeutige Risiko des Einsatzes gelieferter Waffen unter Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht besteht, reicht eine Selbstverpflichtung Israels nicht aus – die Prüfpflicht Deutschlands geht weit darüber hinaus. Israelische Selbstverpflichtungen haben sich nicht als ausreichender Absicherung gegen Völkerrechtsverletzungen erwiesen.
Deutschland muss für zukünftige Ausfuhrgenehmigungen nach Israel, anknüpfend an den bestehenden rechtlichen Rahmen, bindende rechtliche Einschränkungen erarbeiten (bspw. kein Einsatz in besetzten Gebieten) und bei Verletzungen Konsequenzen folgen lassen. Zusätzlich müssen mindestens die Entscheidungskriterien für Rüstungsexportgenehmigungen transparenter werden.
Wiederaufbau und Humanitäre Hilfe
Deutschland muss seiner humanitären Verantwortung in der Nahost-Region gerecht werden. Die oberste Priorität hat der schnelle, ungehinderte Zugang zu humanitärer Hilfe: Nahrung, Medizin, Wasser, Energie. Wir setzen uns dafür ein, die Blockade lebensnotwendiger Güter zu beenden. Der Stopp eingespielter und effektiver UN-Verteilungsstrukturen ist ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und muss unterbunden werden. Die Sicherheit und Arbeitsfähigkeit humanitärer Akteure müssen sichergestellt werden. Humanitäres ist neutral und ein Gebot der Menschlichkeit. Zusätzlich besteht für eine Besatzungsmacht eine besondere Pflicht aus dem humanitären Völkerrecht zu Versorgung der Bevölkerung in besetzten Gebieten. Der Ersatz der UN-Strukturen durch den Gaza Humanitarian Foundation erfüllt diese Bedingungen und Pflichten erkennbar nicht. Durch die radikale Reduzierung der Verteilstationen, die dauerhaft zu geringe Hilfe, die Militarisierung der Hungerhilfe und Angriffe auf Hilfesuchende ist der GHF vielmehr Teil einer Strategie den Hunger als Waffe einzusetzen.
Deutschlands Verantwortung schließt auch ein starkes Engagement zum Wiederaufbau ein. Ansätze der humanitären Hilfe sollten frühzeitig mit solchen Ansätzen kombiniert werden, die den nachhaltigen Staatsaufbau und die Stärkung lokaler Kapazitäten und der Zivilgesellschaft in den Blick nehmen. Dabei muss auf Erfahrungen der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit in der Region aufgebaut und maßgeblich auf lokale Expertise gesetzt werden.
Wir unterstützen den Aufbau der Palestine Donor Group der EU, wie die Kommissionspräsidentin in der State of the Union 2025 angekündigt hat, oder anderweitiger internationaler Wiederaufbaufonds. Diese Gruppe sollte dann auch auf die Staaten in der Region zugehen, um entsprechende finanzielle Ressourcen zusammenzuführen. Ebenso unterstützen wir die Etablierung eines dezidierten Instruments für den Wiederaufbau für Gaza. Die Ausgestaltung des Wiederaufbaus muss im Sinne des Prinzips von local ownership gemeinsam mit den Palästinenser*innen erfolgen. Das Instrument muss sicherstellen, dass Hilfe die Menschen erreicht und nicht korrupte oder extremistische Strukturen stärkt.
Als Teil eines langfristigen Versöhnungsprozesses fordern wir die israelische Regierung auf, sich am Wiederaufbau finanziell zu beteiligen, beispielsweise über eine international koordinierte Gebergruppe und regen zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe an.
Vorschläge wie eine zeitweilige internationale Verwaltung Gazas unter UN-Mandat oder die Ausweitung der Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde oder gemeinsam durch arabische Staaten in Gaza sollen ernsthaft geprüft und diplomatisch sondiert werden, da ein Wiederaufbau nur in einem stabilen administrativen Rahmen gelingen kann.
Langfristig soll Deutschland in Zusammenarbeit mit den relevanten staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Programme fördern, die wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz in Palästina voranbringen (z.B. Solarenergie, Wasserentsalzung, Startup-Förderung), um Perspektiven für die Jugend zu schaffen. Auch gegenüber Israel gilt: Projekte, die beiden Seiten nutzen (etwa regionale Wasser-/Energie-Kooperationen), verdienen Unterstützung, da sie die Interdependenz und den Frieden von unten fördern.
Feministische Außenpolitik & Zivilgesellschaft
Die feministische Außen- und Friedenspolitik orientiert sich am Leitgedanken der Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ des UN-Sicherheitsrates und zielt darauf ab, Machtasymmetrien abzubauen, die Perspektiven von Frauen, Jugendlichen, Minderheiten, Menschen mit Behinderung, LGBTIQ-Personen sowie weiteren vulnerablen Gruppen systematisch einzubeziehen, Zivilgesellschaft als gestaltende Akteurin internationaler Politik zu stärken und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Deutschland soll in internationalen und regionalen diplomatischen Initiativen dafür eintreten, dass Frauen und feministische Stimmen in Verhandlungsdelegationen und Friedensprozessen angemessen vertreten sind. Wir unterstützen Organisationen und Programme, die Frauen und Jugendlichen Raum geben, aktiv an Versöhnung, Aufarbeitung und gesellschaftlicher Neugestaltung mitzuwirken. Dies umfasst insbesondere psychosoziale Betreuung und Teilhabeprogramme für traumatisierte Menschen in der Region – seien es Betroffene von Krieg und Vertreibung in Gaza, Familien israelischer Terroropfer oder andere Gewaltopfer. Außerdem setzen wir uns für den Schutz von besonders verletzlichen Gruppen ein: etwa politische Gefangene, Minderheiten (z.B. LGBTIQ- Personen in der Region) und Menschenrechtsverteidigerinnen. Dabei darf feministische Politik nicht auf eine Opferperspektive verengt werden: Sie muss die Handlungsmacht und Führungsrolle von Frauen und Jugendlichen stärken.
Deutschland hat mit den 2023 vorgelegten Leitlinien zur feministischen Außenpolitik einen wichtigen Schritt getan, diesen Anspruch zu institutionalisieren: Gleichstellung und Teilhabe sollen in Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Krisenpolitik systematisch verankert werden. Eine glaubwürdige feministische Außenpolitik muss sich aber an der Praxis messen lassen. Gerade im Nahostkrieg zeigt sich, dass Prinzipien wie Schutz von Zivilist*innen, menschliche Sicherheit und Teilhabe vulnerabler Gruppen konsequenter umgesetzt werden müssen.
Zivilgesellschaft ist für uns kein abstrakter Begriff, sondern bezieht sich auf progressive, menschenrechtsorientierte Akteurinnen, die für Demokratie, Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit und soziale Teilhabe eintreten. Wir stellen uns klar gegen Versuche, zivilgesellschaftliche Organisationen zu schwächen oder zu kriminalisieren – sei es durch Repressionen, sogenannte „foreign agent laws“ oder Defunding. Deutschland soll sich in internationalen Foren und in bilateralen Gesprächen für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen einsetzen und gegen den „shrinking space“ für zivilgesellschaftliches Engagement aktiv werden.
Eine feministische Außenpolitik misst Erfolg nicht allein an staatlicher Stabilität, sondern am Wohlergehen der Menschen. Sicherheit bedeutet Zugang zu Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung, Schutz vor Gewalt, Rechtsstaatlichkeit und Teilhabe. In Gaza wie in Israel ist es daher zentral, dass humanitäre Hilfe und Wiederaufbau an den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung ausgerichtet werden – insbesondere jener Gruppen, die in Konflikten am stärksten gefährdet sind. Dazu gehören Frauen, Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und Minderheiten. Deutschland sollte daher humanitären Waffenstillständen Priorität einräumen, um den Schutz von Zivilist*innen sicherzustellen.
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist in erster Linie politisch, jedoch spielen religiöse Dimensionen und Interpretationen eine wichtige Rolle. Israelische Gesellschaft wie auch die palästinensische Gesellschaft sind religiös, ethnisch und kulturell vielfältig: Jüdinnen und Juden, Muslim*innen, Christ*innen, Drusen, Bahai und Menschen anderer Glaubenstraditionen prägen das Zusammenleben. Ebenso gehören Palästinenser*innen unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften an. Diese Vielfalt muss anerkannt und ernst genommen werden, um vereinfachenden Zuschreibungen entgegenzuwirken und differenzierte Lösungsansätze zu entwickeln.
Grüne Nahostpolitik bleibt menschenrechtsorientiert – auch dort, wo strategische Partnerschaften im Raum stehen. In Ländern wie Ägypten oder Saudi-Arabien sprechen wir die Inhaftierung von Oppositionellen, die Anwendung der Todesstrafe oder die Einschränkung von Frauen- und Minderheitenrechten klar an. Diesen Fokus verlieren wir auch nicht, während wir gleichzeitig die Vermittlerrollen dieser Länder anerkennen. Im Iran unterstützen wir explizit die mutige Zivilgesellschaft, die für Freiheit, Gleichberechtigung und ein Ende staatlicher Gewalt eintritt. Unsere Solidarität gilt allen, die in der Region trotz Repression für ihre Rechte kämpfen.
Dies soll Teil einer gesamten Nahost-Strategie sein, die nicht nur Staaten, sondern auch Gesellschaften im Blick hat. Eine feministische Nahostpolitik bedeutet, Gesellschaften in ihrer ganzen Vielfalt in den Blick zu nehmen, progressive Akteur*innen zu unterstützen und konsequent für Menschenrechte einzutreten. Sie verbindet Diplomatie, Schutz vulnerabler Gruppen und die Förderung von Aufarbeitung und Versöhnung. Wertebasierte Politik misst nicht mit zweierlei Maß – sie steht solidarisch an der Seite derer, die für Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenwürde eintreten.
------------------
Die Bundesdelegiertenkonferenz empfiehlt der Grünen-Fraktion im Bundestag und den zuständigen Gremien, die Umsetzung dieser Leitlinien regelmäßig zu überprüfen. Angesichts der dynamischen Lage soll z.B. jährlich ein Bericht erstellt werden, der auswertet, was die jeweilige Bundesregierung in Bezug auf Friedensinitiativen, Menschenrechtsanliegen und Krisenprävention im Nahen Osten erreicht hat, und wo ggf. nachjustiert werden muss. So bleibt die Grüne Nahostpolitik ein lernendes Konzept, das sich veränderten Umständen anpasst, ohne die grundsätzlichen Werte zu verraten.
Medien
Kategorie
Wenn die Waschmaschine kaputtgeht, der Kühlschrank leer ist, die Kinder zur Schule müssen und die Eltern von heute auf morgen gepflegt werden [...]
Deutschland braucht einen handlungsfähigen Staat, der die Transformation der Wirtschaft flankiert. Dafür sind Regeln wichtig. Werden sie jedoch [...]
Seit Jahrzehnten fließt zu wenig Geld in den Schienenverkehr. Erst mit der letzten Bundesregierung sind die Mittel für die [...]