Für eine parteiübergreifende Aufarbeitung der deutschen Russland-Politik jetzt!

24.02.24 –

Beschluss der BAG Frieden & Internationales auf ihrer Tagung am 24.02.2024

Wie konnte es zu einer der größten deutschen außenpolitischen Fehleinschätzungen – der deutschen Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte – kommen, die vollumfänglich erst seit dem 24. Februar 2022, mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die gesamte Ukraine, realisiert wurde?

Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ihre politischen Entscheidungsträger*innen standen immer an der Seite der Menschenrechtsverteidiger*innen und Demokrat*innen in Russland und galten zu Recht als die härtesten Kritiker*innen des Kreml-Regimes im deutschen Parteienspektrum. Dennoch gab es auch unter uns Grünen Haltungen, die die Bedrohung durch Russland - darunter militärisch, energiepolitisch und mit Blick auf den Wettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien – nicht ernst genug nahmen.

Die Mitglieder der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag werden aufgerufen, sich fraktionsübergreifend für eine unabhängige Enquete-Kommission aus Fachleuten einzusetzen, um die deutsche Russlandpolitik seit Beginn der Präsidentschaft Wladimir Putins im Jahr 1999 historisch und systematisch aufzuarbeiten. Im Kern geht es darum, Faktoren und Strukturen zu identifizieren, die zur gescheiterten deutschen Russlandpolitik beigetragen haben, um ähnliche strategische Fehler im Umgang mit autoritären Staaten, wie etwa der Volksrepublik China, in Zukunft zu vermeiden. Daher geht es u.a.um folgende Fragen:

1) Wie konnte es zur sicherheitspolitischen Fehleinschätzung kommen, dass Russland unter Wladimir Putin keine direkte militärische Bedrohung für Deutschland und Europa darstellen würde, insbesondere vor dem Hintergrund der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014?

2) Warum kam es nicht zu angemessenen Reaktionen auf Russlands Aggressionen, die sich in Form von Cyberattacken, Spionage, Mordanschlägen und Destabilisierungsversuchen gegenüber Deutschland und Europa zeigten?

3) Wie konnte es zu den energie- und wirtschaftspolitischen Abhängigkeiten, insbesondere durch russische Rohstoffimporte (Gas, Kohle und Öl) kommen, ohne dass die Gefahren für Deutschland ausreichend berücksichtigt und sogar strategische Infrastruktur wie Gasspeicher an Russland verkauft wurden? Warum wurden in diesem Zusammenhang die Vorteile des wirtschaftlichen Austausches mit Russland lange überschätzt („Wandel durch Handel bzw. Annäherung“)?

4) Warum wurden die Warnungen unser mittel- bzw. osteuropäischen Nachbarn als eigentliche Nachbarn Russlands durch die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger*innen nicht erst genommen und wieso hat die zunehmende Autokratisierung in Russland, gekennzeichnet durch Unterdrückung und Verfolgung der demokratischen Opposition und Zivilgesellschaft sowie damit einhergehende Einschränkung der Menschenrechte nicht zu einem Umdenken in der der deutschen Russlandpolitik geführt?

5) Wieso verfingen und verfangen noch immer viele russische Desinformationskampagnen in bestimmten Teilen der deutschen Gesellschaft und warum gelang es der russischen Regierung, ungestört pro-russische Netzwerke und gefährliche Abhängigkeiten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands aufzubauen?

6) Welche Rolle hat die deutsche Wirtschaft in der Russlandpolitik gespielt und inwiefern haben möglicherweise deutsche Unternehmen dazu beigetragen, Deutschland in gefährliche Abhängigkeiten zu treiben?

7) Warum hat die Politik auf Russlands wachsende schädliche Einflüsse im Globalen Süden keine strategischen Antworten gefunden?

Diese und weitere Aspekte sollten systematisch aufgearbeitet werden, um katastrophale Fehler perspektivisch zu vermeiden und damit weiteren Schaden von Deutschland und Europa abzuwenden. Dabei sollte die Enquete-Kommission aktiv von allen relevanten Entscheidungsträger*innen in ihrer Arbeit unterstützt werden und notwendige Dokumente aus den beteiligten Ministerien zur Verfügung gestellt bekommen. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen transparent behandelt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

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