BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

BAG Frieden & Internationales

Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte – Responsibility to Protect Vom Recht des Stärkeren zum Schutz des Individuums durch Stärkung des Rechts

Beschluss der BAG Frieden & Internationales vom 24.06.2012 Das Völkerrecht befindet sich im Umbruch. Im Kern der Debatte steht dabei die Schutzverantwortung, die Responsibility to Protect. Sie hat zum Ziel, Menschen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen zu schützen.

24.06.12 –

Beschluss der BAG Frieden & Internationales vom 24.06.2012

I.

Das Völkerrecht befindet sich im Umbruch. Im Kern der Debatte steht dabei die Schutzverantwortung, die Responsibility to Protect. Sie hat zum Ziel, Menschen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen zu schützen.

Allerdings kann das Konzept auch falsch interpretiert und zur Rechtfertigung völkerrechtswidrige Kriege missbraucht werden. Es kann auch dafür genutzt werden, um aus fragwürdigen Motiven die Schwelle für Interventionen abzusenken. Das internationale Handeln der nächsten Jahre wird darüber entscheiden, wie sich das Völkerrecht in diesem Bereich fortentwickelt und welche Rolle die Schutzverantwortung dabei erhält.

Das bisherige Völkerrecht und die internationalen Institutionen müssen weiter entwickelt und gestärkt werden. Sie sind nicht mehr zeitgemäß und geraten zunehmend unter Veränderungs- und Legitimitätsdruck. Forciert wird der Wandel durch den Aufstieg neuer weltpolitischer AkteurInnen, die gleichberechtigte Mitsprache- und Entscheidungsbefugnisse in globalen Belangen fordern. Anfang des 21. Jahrhunderts sehen sich zudem SchlüsselakteurInnen beispielsweise in Konkurrenz um Zugang zu Energie und Ressourcen.

Dabei sind zwei Richtungen für den Umbruch der internationalen Ordnung denkbar. Entweder es dominiert das Recht des Stärkeren. Die internationale Ordnung erodiert. Das internationale System wird geprägt durch multipolare Interessengegensätze, ohne dass ein geregelter Mechanismus zur friedlichen Streitbeilegung existiert. Oder aber, es entwickelt sich ein internationales Rechtssystem. Wir stehen vor der Herausforderung, diese Umbrüche so zu gestalten, dass sie zu geteilten Werten, handlungsfähigeren internationalen Institutionen und mehr globaler Kooperation unter dem Dach der VN führen.

Wenn heute Völkerrecht gebrochen und das Recht des Stärkeren durchgesetzt wird, ist das kein einmaliger Sündenfall, sondern beschädigt internationales Recht. Für uns ist klar, wir setzen auf die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren.

Die BAG Frieden von Bündnis 90/Die Grünen bekennt sich daher mit dem vorliegenden Beschluss zu einer Fortentwicklung des Völkerrechts im Rahmen der Schutzverantwortung. Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen wirksamer vor schwersten Menschenrechtsverletzungen und staatlicher Willkür geschützt werden. Das erreichen wir am besten durch ein konsequent an den Menschenrechten ausgerichtetes, präventives Handeln in verschiedenen Politikbereichen. Widersprüche im internationalen Recht wollen wir aufzulösen, so dass die Weltgemeinschaft breit legitimierte Entscheidungen treffen kann und Dilemmata, wie die Entscheidung zum NATO-Einsatz in den Kosovo-Konflikt, aufgelöst werden.

Wir beschreiben im Folgenden unsere politischen Leitlinien und welche Anforderungen daraus folgen. Um tagespolitische Abwägung auf schwierige Fragen stärker normativ zu fundieren, formulieren wir Kriterien für unser außenpolitisches Handeln. Wir wollen so auf künftige Debatten um mögliche Militäreinsätze als äußerstes Mittel vorbereitet sein. Zugleich sind die Kriterien auch Quintessenz unserer grünen Debatte um die Auslandseinsätze der Bundeswehr.

II. Das Konzept der Schutzverantwortung

Die Verantwortung zu schützen – dieser Appell ist Inhalt des Konzepts der Schutzverantwortung von 2001. Die Grundsatzfragen des Konzeptes sind: Wie kann die internationale Gemeinschaft Staaten in ihrer Schutzverantwortung unterstützen? Und was passiert, wenn ein Staat seine eigene Bevölkerung nicht vor schwersten Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Völkermord, schützen kann oder schützen will?

Auf dem Millenniumsgipfel der VN Ende 2005 wurde von der Generalversammlung der VN die Schutzverantwortung, die “Responsibility to Protect“ beschlossen. Damit haben alle Staaten- und Regierungen anerkannt, dass jeder Staat erstens verpflichtet ist, seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen zu schützen. Zweitens ist die internationale Gemeinschaft verpflichtet, Staaten grundsätzlich bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung zu unterstützen, also nicht erst dann tätig zu werden, wenn ein Staat bereits dabei versagt. Wo ein Staat die Schutzverantwortung gegenüber seiner Bevölkerung nicht ausüben kann oder will, ist die internationale Gemeinschaft drittens in der Mitverantwortung, geeignete diplomatische, humanitäre und andere Mittel, bis hin zu Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu ergreifen.

Er beruht auf dem vom ehemaligen VN-Generalsekretär Kofi Annan angeführten Prinzip der „gemeinsamen Menschlichkeit“ und betont Souveränität als Verantwortung. Er treibt eine Entwicklung voran, die den Schutz der Menschen und die Sanktionierung massiver Verletzung ihrer fundamentalen Rechte über die Unantastbarkeit der Staaten und die Straflosigkeit der für sie handelnden Personen stellt.

Der Anwendungsbereich der Schutzverantwortung beschränkt sich auf die vier Kernverbrechen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen, umfasst aber das gesamte Spektrum an Maßnahmen und Instrumenten, das den Mitgliedstaaten, dem VN-System, den Regionalorganisationen und ihren Partnern aus der Zivilgesellschaft zur Verfügung steht.

Die Schutzverantwortung ist in den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und des Menschenrechtsschutzes angelegt . Doch trotz verschiedener Bezugnahmen auf die Schutzverantwortung ist sie noch keine eigenständig geltende Norm des Völkerrechts. Sie ist eine völkerrechtliche Norm im Werden, die eine Pflicht zum Handeln beschreibt und hohe ethische Maßstäbe an eigenes Handeln anlegt.

Die Schutzverantwortung ist umfassend ausdifferenziert. Zu ihr gehören Prävention, Responsibility to prevent, Unterstützung, Responsibility to assist, und Reaktion, Responsibility to react. Darüber hinaus muss die Responsibility to rebuild, also die nachsorgende Verantwortung für die Friedenskonsolidierung in den Blick genommen werden. Bis heute wird allerdings der Präventionsgedanke, auch im Sinne kohärenten Handelns und grundlegender Legitimität des Handelns, immer noch nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl sie Kern der Schutzverantwortung sein muss. Ein radikaler Wechsel zu einer präventiven Orientierung der eigenen Politik darf nicht mehr aufgeschoben werden. Der Aktionsplan zivile Krisenprävention, den die rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hatte, ist dabei immer noch zentraler Ausgangspunkt. Durch den Schwerpunkt auf diese Präventionspflichten sollen der Einsatz militärischer Mittel und die Anwendung von Gewalt verhindert werden. Würde Prävention konsequenter umgesetzt, würde das eigene Handeln den eigenen Forderungen an fremde Nationen entsprechen, könnten Konflikte, könnte Gewalt in vielen Fällen vermieden werden. Stattdessen wird die Reaktion allzu oft auf militärisches Eingreifen verkürzt. Dabei stehen in der Schutzverantwortung diplomatische und zivile Sanktionen an erster Stelle und der Einsatz militärischer Gewalt ist nur das äußerste Mittel, wenn alle anderen Mittel keine Aussicht auf Erfolg haben.

Dem hohen ethischen Maßstab der Schutzverantwortung an das eigene Handeln wird die deutsche und europäische Politik viel zu oft nicht gerecht. Doppelstandards negieren die eigenen Werte.

Wir plädieren daher dafür, die Schutzverantwortung umfassend zu verstehen, sie im eigenen Handeln zu berücksichtigen und geeignete Instrumentarien dafür zu entwickeln. Das bedeutet eine radikal andere Politik von Deutschland und der EU im eigenen Handeln.

III. Schutzverantwortung als Maßstab für die eigene Politik annehmen - Menschenrechte stärken

Die international anerkannten Menschenrechte sind nicht kulturrelativ. Sie sind universell, unteilbar und unveräußerlich. Sie zu achten, zu schützen und zu gewährleisten sollte Ziel der eigenen und der internationalen Politik sein. Glaubwürdige Menschenrechtspolitik fängt daher mit der eigenen Politik an.

Deutschland und die Europäische Union haben im vergangen Jahrzehnt eine Politik nach den Prinzipen „für Stabilität sorgen“ und „Kampf gegen den islamistischen Terrorismus“ gemacht. Deshalb wurde auf enge Bündnisse mit autoritären Regimen gesetzt. Demokratische Bewegungen wurden nicht ausreichend unterstützt, Menschenrechte ignoriert. Demokratie und Menschenrechte werden in Sonntagsreden betont, aber ansonsten stehen sie häufig zurück hinter Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen. Menschenrechtspolitik darf nicht durch eine überzogene Abschottung an den europäischen Außengrenzen konterkariert werden. Während des Libyenkonfliktes wurden von den VN über 8000 Menschen als besonders hilfsbedürftig eingestuft. Die EU-Länder nahmen weniger als 400 von ihnen auf. Auf Konflikte, wie in Libyen und Syrien, muss die EU flexibler reagieren und ausreichende Aufnahmekapazitäten zur Verfügung stellen. Es ist klar, dass Deutschland und die EU durchaus vor einem Dilemma stehen, denn sie werden auch in Zukunft die Kooperation mit autoritären Staaten nicht völlig vermeiden können. Dabei sind Dialog und Zusammenarbeit wichtig zur Einbindung dieser Staaten in die Weltgemeinschaft. Aber die Außenpolitik muss sich grundlegend und erkennbar neu orientieren an der Unterstützung demokratischer Bewegungen und der Menschenrechte. Daher ist es umso wichtiger, dass eine umfassend andere Politik, die Schutzverantwortung als Maßstab nimmt und Menschenrechte als Ziel verfolgt. Dabei gilt es im Rahmen der Schutzverantwortung die Vorbeugung zu stärken. Zu ihr gehören folgende präventive Kernpunkte:

Vorbeugende Schutzverantwortung stärken – effektive Frühwarnung entwickeln

Immer wieder fehlten der politische Wille, Ressourcen oder geeignete Instrumente, um eine Gewaltkrise durch zivile Konfliktbearbeitung zu stoppen. Damit die Staatengemeinschaft ihrer Verpflichtung zur Verhütung massiver Menschenrechtsverletzungen effektiv nachkommen kann, bedarf es zudem institutionalisierter Prüfverfahren.

Wir fordern daher

  • sich für eine Aufwertung der VN-Sonderberater für die Prävention von Völkermord und für Schutzverantwortung, eine Stärkung von VN-Women und dem Entwicklungsprogramm der VN einzusetzen;
  • die VN-Frühwarnmechanismen im Sinne der Prävention von Massenverbrechen zu stärken und in Deutschland ein ressortübergreifendes Frühwarnzentrum aufzubauen. Dazu soll der VN-Menschenrechtsrat gestärkt und ausgebaut werden, damit er unter Beteiligung der VN-Sonderberater für Genozid und Responsibility to Protect systematisch Informationen im Hinblick auf drohende oder bereits stattfindende Massenverbrechen auswerten und feststellen kann. So ließe sich eine Verhandlungssituation, in dem Partikularinteressen der einzelnen Mitglieder der Staatengemeinschaft als legitime Standpunkte anerkannt werden, in einen Rechtsdiskurs überführen.
  • dass Deutschland eine nationale Kontaktstelle zur Stärkung und Koordination von Maßnahmen zur Schutzverantwortung einrichtet.
  • sich für den Ausbau ziviler Präventionsinstrumente (Mediations-, Polizei-, Verwaltungs- und RechtsexpertInnen) einzusetzen und auf nationaler Ebene entsprechende Ressourcen systematisch aus- bzw. aufzubauen.
  • den interministeriellen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ zu stärken und in eine ressortübergreifende Nationale Friedensstrategie einzubetten, um eine kohärente und koordinierte Friedenspolitik zu ermöglichen. Diese Friedensstrategie ersetzt außerdem das Weißbuch und ordnet die Verteidigungspolitik so der Friedenspolitik unter. Wir setzen uns dafür ein, dass dem Ressortkreis Zivile Konfliktprävention klare operative Kompetenzen zugewiesen werden und er häufig auf StaatsministerInnenebene tagt. Die Arbeit des Ressortkreises wird durch einen parlamentarischen Unterausschuss für Friedenspolitik und Zivile Krisenprävention und einen zivilgesellschaftlichen Beirat begleitet. Beiden Gremien ist der Ressortkreis auskunftspflichtig. Da bisher auch die Zusammenarbeit zwischen den Fachministerien nicht funktioniert, schlagen wir zudem vor, Kooperation über Mittelvergabe zu erzwingen. Mittel für zivile Krisenbearbeitung sollen gepoolt werden, die Gelder können nicht mehr durch ein einzelnes Ministerium ausgegeben werden, sondern nur, wenn in einem gemeinsamen Lenkungskreis Einigkeit besteht. Durch unabhängige Begleitung, etwa auf parlamentarischer Ebene und nichtstaatlicher Expertise, könnte zudem sichergestellt werden, dass die Mittelvergabe sachgerecht geschieht und nicht auf der Basis fauler Kompromisse erfolgt. Dies würde auch die Erarbeitung einer ressortübergreifenden Strategie erzwingen.
  • die Krisenmanagementstrukturen der Europäischen Union stärker in den Dienst der zivilen Krisenprävention stellen. Dazu müssen die bestehenden Strukturen für Konfliktprävention, Krisenmanagement und Peacebuilding innerhalb des Europäischen Auswärtigen Dienst in einer gemeinsamen Einheit zusammengebracht werden, um einen ganzheitlichen Politikansatz jenseits reiner Krisenreaktion zu ermöglichen. Zudem muss die Vernetzung dieser Strukturen mit den geographischen und thematischen Abteilungen verbessert werden.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, ein politisches Umfeld zu schaffen, das zur Prävention schwerster Menschenrechtsverbrechen beiträgt.

Keine Rüstungsexporte – Abrüstung und Rüstungskontrolle stärken

Deutschland ist drittgrößter Waffenlieferant weltweit und trägt dazu bei, Gewaltkonflikte entstehen zu lassen, anzuheizen und zu verlängern. Die Vermeidung von Exporten ist wesentlicher Bestandteil einer Politik, die auf vorbeugende Gewalteskalation setzt.

Wir fordern daher

  • Rüstungsexporte1 in Länder, in denen die Regierung für erhebliche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, generell zu verbieten.
  • Transparenz von Rüstungsexporten durch die Aufhebung der Geheimhaltung der Beschlüsse des Bundessicherheitsrats zu gewährleisten. Dieser soll künftig seine Entscheidungen begründen und im Konsens entscheiden.
  • ein parlamentarisches Gremium, das Rüstungsexporte kontrolliert und grundsätzlich vor Regierungsentscheidungen informiert wird. Für besonders sensible Exporte, beispielsweise Lieferungen von Kriegswaffen in Drittstaaten, soll dieses Gremium eine aufschiebende Vetomöglichkeit haben.
  • verschärfte Rüstungskontrolle auf europäischer Ebene, die auch sicherheitsrelevante Dienstleistungen und Softwareprodukte mit berücksichtigt.
  • in der Abrüstungspolitik bestehende Ideen wie Global Zero im nuklearen Bereich, durchzusetzen, das Arms Trade Treaty konsequent anzuwenden und durch ein internationales Gremium kontrollieren zu lassen, insbesondere im Kleinwaffenbereich, sowie ein Investitionsverbot für Streumunition und Anti-Personen-Minen und eine wirksame Endverbleibskontrolle durchzusetzen.

Instrumente der Entwicklungs-, Außen-, Menschenrechts- Asyl- und Flüchtlingspolitik nutzen

Schwerste Menschenrechtsverletzungen entstehen durch Diskriminierung, Marginalisierung und die Verweigerung fundamentaler Rechte von verschiedenen Nationalitäten, Ethnien und Religionen innerhalb von Gesellschaften. Es gilt, lokale Institutionen, Kapazitäten und Praktiken in Gesellschaften zu stärken, die Inklusion, Gleichheit, politische Teilhabe, die Gewährleistung fundamentaler Rechte und gute Regierungsführung fördern.

Fast die Hälfte aller Menschen muss heute von weniger als zwei US-Dollar pro Tag leben. Durch fehlenden Zugang zu Nahrung, Wasser, Energie und minimaler Gesundheitsversorgung kommen täglich Zehntausende zu Tode. Entwicklungszusammenarbeit steht damit im Zentrum einer ernstgemeinten Schutzverantwortung. Die Vereinten Nationen haben mit den Millennium-Entwicklungszielen die wichtigsten sozialen Herausforderungen und Aufgaben für die globale Solidarität formuliert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hält hierbei die internationalen Verpflichtungen nicht ein und verweigert sich damit ihrer Verantwortung.

Wir fordern daher

  • Instrumente der deutschen Außen- und Außenwirtschafts-, Entwicklungs-, Menschenrechts-, Asyl- und Flüchtlingspolitik darauf zu prüfen, wie sie zur Umsetzung der Schutzverantwortung beitragen und wie einzelne Maßnahmen gegebenenfalls angepasst oder neu ausgerichtet werden könnten, um wirksamer zu werden.
  • bis 2017 die ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erfüllen. Künftig wollen wir zudem Entwicklungszusammenarbeit mit einer umfassenden Konfliktanalyse verbinden, um zu verhindern, dass falsch konzipierte Entwicklungszusammenarbeit konfliktverschärfend oder konfliktverlängernd wirkt.

Unternehmen in die Verantwortung nehmen

Deutsche und europäische Unternehmen haben zu häufig Mitschuld an sozialer Ausbeutung, Marginalisierung, Korruption, Raubbau an den Naturressourcen und ignorieren immer wieder grundlegende Menschenrechte. Daher beinhaltet eine Politik der umfassenden Schutzverantwortung auch, das Handeln von deutschen und europäischen Unternehmen im Ausland in den Blick zu nehmen und zu regulieren. Die Wahrung der Menschenrechte erfordert auch durchgreifende Reformen der ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen in den Gesellschaften vieler Länder. Viele dieser Reformen müssen diese Länder selber angehen, aber sie dürfen nicht durch transnationale AkteurInnen unterminiert werden.

Wir fordern daher

  • Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, Informationen zu sozialen und ökologischen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen und die Initiative der EUKommission von Oktober 2011 „A renewed EU strategy 2011-14 for Corporate Social Responsibility“ zu unterstützen. Insbesondere sollten europäische Rohstoffunternehmen verpflichtet werden, alle Zahlungen offenzulegen, die sie an Regierungen leisten, wodurch sich ohne großen bürokratischen Aufwand Korruption bekämpfen und gute Regierungsführung fördern ließe.
  • Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen, die von deutschen oder europäischen Unternehmen verursacht wurden, Klagemöglichkeiten in Deutschland und Europa einzuräumen.
  • die Standards der acht Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation ILO und der internationalen Konventionen im Bereich von BürgerInnenrechten, Behindertenrechte, Frauenrechten und Umweltschutz auch im Handeln deutscher und europäischer Unternehmen im Ausland durchsetzen.

Lebensgrundlagen erhalten

Der Reichtum der Industrieländer beruht auch auf jahrzehntelangen klimaschädlichen Emissionen zu Lasten aller und der globalen Ausbeutung von Menschen und natürlicher Ressourcen, einhergehend mit der Zerstörung von Biodiversität. Bis heute zerstört die europäische Agrar- und Fischereipolitik regionale Lebensmittelproduktion in Drittländern und raubt vielen Menschen die Existenzgrundlage. Sie trägt zu sozialen Ungleichheiten in Gesellschaften bei, die das Risiko schwerster Menschenrechtsverletzungen erhöhen. Hungern und verhungern ist die Folge.

Wir fordern daher

  • die Industriestaaten auf, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Doch auch die Entwicklungs- und Schwellenländer sind in der Verantwortung für das Weltklima. Sie sollten vom "Business as usual"-Pfad mindestens 15 bis 30 Prozent nach unten abweichen. Ohne internationale Unterstützung wird das nicht gelingen. Deshalb müssen schnellstmöglich die erforderlichen Milliardenbeträge für den Technologietransfer und das notwendige Know How zur Verfügung gestellt werden.
  • die komplette und endgültige Abschaffung europäischer Agrarexportsubventionen.
  • die EU-Fischereiabkommen und ihre Umsetzung auf ökologische und soziale Auswirkungen zu überprüfen und bei schweren Verstößen gegen ökologische und soziale Standards auszusetzen.
  • eine Handelspolitik, die globale Gerechtigkeit nicht konterkariert.
  • ein neues Verständnis von Ressourcen als zu schützende und zu pflegende Gemeingüter (Commons, Allmende), die die Menschheit als Ganzes betreffen. Gemeingüter sind vielfältig, z.B. Wissen und Wasser, Saatgut und Software, sie sind Grundbestand und Voraussetzung unseres gemeinschaftlichen Wohlergehens. Wir fordern daher eine Kultur der öffentlichen Wertschätzung von Gemeingütern und die aktive finanzielle und institutionelle Förderung jener Ansätze und Projekte, die Wissen und Werte für eine lebendige Gemeingüterpolitik schaffen - lokal wie auch global.

Der Erhalt der Lebensgrundlagen, verbindliche Regeln der Unternehmensverantwortung, die Einhaltung der Zusagen in der Entwicklungszusammenarbeit und das Verbot von Rüstungsexporten sind wesentliche Bestandteile einer vorbeugenden Politik, die hilft, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Es sind allerdings bei weitem nicht die einzigen Politikfelder.

Eine solchermaßen radikal veränderte deutsche und europäische Politik wird allein keine umfassende Geltung von Menschenrechten und Schutzverantwortung bringen. Sie wäre nur ein, allerdings wesentlicher, Schritt um die Kohärenz und Legitimität eigenen Handelns zu gewährleisten, wenn ein Anwendungsfall der Schutzverantwortung eintritt. Außereuropäische Staaten, die selbst häufig keine Demokratien sind, verfolgen oftmals eine Politik, die sich noch weit weniger um Menschenrechte und Schutzverantwortung schert. Das entbindet uns aber nicht von ihrer Achtung, denn nur die eigene Berücksichtigung der geforderten Standards, lässt sich glaubhaft für eine Herrschaft des Rechts streiten.

IV. Militäreinsätze und Schutzverantwortung

Im Ausnahmefall kann die Schutzverantwortung zu Militäreinsätzen führen, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder zu stoppen. Als Mitglied der Vereinten Nationen ist die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich dazu verpflichtet zur internationalen Friedenssicherung beizutragen. Die Minimalunterstützung von VN-Missionen durch westliche und reiche Staaten ist symptomatisch für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer internationalen Friedenspolitik in globaler Verantwortung.

Nach der geltenden VN Charta kann der Sicherheitsrat beschließen, in die Souveränität eines Staates einzugreifen. Im Bereich der Schutzverantwortung ist das Handeln der Vereinten Nationen auf die Kriterien Völkermord, Kriegsverbrechen ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingegrenzt.

Dabei ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht die alleinige Legitimitätsquelle von Entscheidungen über Militäreinsätze. Ein Staat, der fundamentale Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung begeht oder zulässt, erfüllt seine Fundamentalaufgabe nicht mehr, die ihn als Staat legitimieren. Er verliert damit seine Legitimität auch nach außen. Dies legitimiert überhaupt erst Nothilfe-Interventionen von außen. Ein völkerrechtlich illegitim handelnder Staat verwirkt die Pflicht anderer Staaten, dessen Souveränität zu respektieren und sich nicht einzumischen. Sehr wohl aber haben sie unveränderte rechtliche und rechts-ethische Pflichten gegenüber seiner gesamten Bevölkerung —also auch denen, die eine gewaltsame Intervention ablehnen. Im Völkerrecht gibt es für diese Abwägung zahlreiche ungelöste Probleme. Daher sind Kriterien so wichtig.

Eckpunkte für einen Kriterienkatalog wurden bereits 2001 von der International Commission on Intervention and State Sovereignty entwickelt. Es wurden fünf grundlegende Kriterien – „Ernst der Bedrohung“, „Redlichkeit der Motive“, „Anwendung als letztes Mittel“, „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ und „Angemessenheit der Folgen“ benannt. Daran gilt es anzuknüpfen und zu ergänzen.

Weder ist die Beteiligung an solchen Einsätzen ein Automatismus, noch stellen die folgenden Kriterien eine Checkliste dar. Sie sind für uns aber richtungsweisende Leitlinien („Maximen des eigenen Handelns“) für die letztendliche Einzelentscheidung, die immer eine politische sein wird.

(1) Kriegsverhütung und Friedenssicherung

Oberste Grundsätze grüner Friedens- und Sicherheitspolitik sind friedlicher Interessenausgleich, Kriegs- und Gewaltverhütung und Friedenssicherung, Schutz vor illegaler physischer Gewalt und Massenverbrechen, Durchsetzung internationalen Rechts im Rahmen kollektiver Sicherheit auf VN-Ebene, Förderung menschlicher Sicherheit.

Grundsätzlich nicht vereinbar damit ist eine Politik für partikulare bzw. nationale oder bündnispolitische Interessendurchsetzung hegemonialer, machtpolitischer oder ökonomischer Art und deren Vorbereitung von Kriegen zu ihrer Durchsetzung.

(2) Verhältnismäßigkeit der Mittel

Die Hauptverantwortung für die friedliche Streitbeilegung haben in erster Linie die Konfliktparteien. Externe haben auf innergesellschaftliche Konflikte auf Dauer nur begrenzten Einfluss.

Vorstellungen von Friedens-, Rechtsstaats- und Demokratieexport mit militärischen Mitteln sind eine Illusion. Bei jedem Engagement von außen ist darauf zu achten, negative Begleiterscheinungen zu vermeiden. Der „Do-no-harm“-Grundsatz gilt ganz besonders bei externen Interventionen.

(3) Ziele und Interessen offen legen – Redlichkeit der Motive

Die Notwendigkeit eines Militäreinsatzes muss offengelegt und glaubwürdig nachgewiesen werden. Öffentliche Begründungen und tatsächliche Beweggründe müssen übereinstimmen. Damit nicht vereinbar ist eine Instrumentalisierung humanitärer Hilfe und von Menschenrechten für andere Zwecke.

(4) Primat der zivilen Krisenbearbeitung und „Anwendung als äußerstes Mittel“

Es gilt das Primat der politischen und zivilen Konfliktbearbeitung. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte kommt nur als äußerstes Mittel und in dienender Funktion politischer Konfliktlösung in Betracht. Jede militärische Gewaltanwendung ist nur dort legitim, wo alle anderen Mittel keine Erfolgsaussicht haben.

(5) Völkerrechtliche Legitimität und VN-Mandat – Ernst der Bedrohung

Ein Militäreinsatz über den Fall der Selbstverteidigung hinaus kann nur zulässig sein zur Wahrung und Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens sowie zum Schutz von Bevölkerungsgruppen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen.

Für die Beurteilung des Ernstes der Bedrohung ist der von dem VN-Sonderberater zur Verhinderung von Völkermord entwickelte Analyserahmen mit seinen acht Kriterien wie etwa das Konfliktverhalten zwischen einzelnen Gruppen, Fähigkeiten eines Staates zum Menschenrechtsschutz, die Präsenz illegaler Waffen oder Anzeichen wie Hassreden hilfreich.

Alternative A2 auch GeneralversammlungAlternative B3 nur Sicherheitsrat

Dafür ist ein Mandat des VN-Sicherheitsrats nach der gegenwärtigen Verfasstheit der VN die Voraussetzung. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockade der Sicherheitsratsresolution das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen, wie das Eingreifen ohne ein Mandat. Zur Auflösung solcher Dilemmata wäre es ein möglicher Weg, eine Problemlösung und Legitimation über die VN-Generalversammlung zu suchen, wie es auch Brasilien vorgeschlagen hat. Die Generalversammlung sollte das Recht beanspruchen, nach dem Vorbild der „Uniting For Peace“-Resolution 377 von 1950 mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären, dass der Sicherheitsrat seiner Verantwortung nicht nachkommt, und friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regionalorganisationen soll angestrebt werdenkann sich hierbei als sinnvoll erweisen. Die Stärkung des Völkerrechts hängt dabei entscheidend davon ab, dass in einem solchen Weiterentwicklungsprozess allein die Vereinten Nationen Entscheidungs- und Handlungszentrum bleiben.

Eine Entscheidung des Sicherheitsrat oder der Generalversammlung ist eine bindende Voraussetzung, weil ohne solch ein Mandat das Völkerrecht und die Vereinten Nationen massiv beschädigen würden.

Für die Mandatierung von militärischen Einsätzen bleibt eine Entscheidung des VNSicherheitsrats eine bindende Voraussetzung. Im Falle einer Blockade des VNSicherheitsrates in Fällen der Schutzverantwortung sollte sich Deutschland für eine Befassung der VNGeneralversammlung im Sinne der „Uniting for Peace-Resolution“ von 1950 einsetzen, um durch Empfehlungen an den VNSicherheitsrat den Handlungsdruck zu erhöhen. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regionalorganisationen soll angestrebt werden. Die Stärkung des Völkerrechts hängt dabei entscheidend davon ab, dass allein die Vereinten Nationen Handlungszentrum bleiben und Entscheidungen nicht etwa an Regionalorganisationen wegverlagert werden.

(6) Primat der Politik, Wirksamkeitsorientierung und ausgewogene Fähigkeiten „Angemessenheit der Folgen“

Zivil-militärische Auslandseinsätze dienen der Politikunterstützung und dürfen nicht zum Politikersatz werden. Sie müssen eingeordnet sein in ein Gesamtkonzept und Bemühungen der politischen Deeskalation, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Auf der Basis konkreter Ziele sind zugleich immer auch Exit-Kriterien mitzudenken.

(7) Verantwortlicher Multilateralismus

Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Friedenssicherung und Krisenbewältigung erfolgt nur multilateral. Für die Legitimität und Erfolgsaussichten eines internationalen Kriseneinsatzes reicht es nicht, wenn Mitgliedsstaaten nur ihren jeweiligen Beitrag leisten. Sie müssen den Gesamteinsatz und seine Wirksamkeit im Blick haben. Dissense über die Einhaltung der vereinbarten Einsatzregeln, über die Beachtung der local ownership und des do-no-harmPrinzips, aber auch der Lastenverteilung müssen ausgetragen und geklärt werden. Dauerhafte Verstöße gegen diese elementaren Grundsätze, wie auch gegen das humanitäre Völkerrecht (das Recht im Krieg), können die Legitimation eines Einsatzes zerstören und ein „Kündigungsgrund“ sein.

(8) Leistbarkeit und Verantwortbarkeit

Ein Kriseneinsatz muss hinsichtlich der vorhandenen personellen und materiellen Fähigkeiten leistbar und über die erforderlichen Zeiträume durchhaltbar sein. Dabei sind die Zeithorizonte für militärische, polizeiliche und zivile Akteure sehr verschieden. Die Belastungen und Risiken für die eingesetzten SoldatInnen, aber auch PolizistInnen, ZivilexpertInnen – und indirekt ihre Angehörigen - müssen verantwortbar sein. Dabei sind insbesondere psychische Langzeitfolgen schwer absehbar. Sie benötigen besondere Beachtung und Betreuung.

(9) Parlamentsbeteiligung und gesellschaftliche Akzeptanz

Die konstitutive Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr hat sich bewährt und darf nicht geschwächt werden. Der erweiterte Auftrag der Bundeswehr soll durch eine Grundgesetzpräzisierung klargestellt und begrenzt werden.

Regierung und Parlament sind in der Verantwortung, den Einsatz von SoldatInnen, PolizistInnen und zivilen ExpertInnen überzeugend öffentlich darzustellen und zu begründen. Hierzu gehört die ehrliche Benennung von Risiken und Chancen. Für ein Krisenengagement und insbesondere einen Auslandseinsatz muss es in der Bevölkerung auf Dauer eine belastbare Akzeptanz geben. Voraussetzung dafür ist eine umfassende Information.

V. Vereinte Nationen und Völkerrecht stärken

Grüne Außenpolitik setzt auf eine aktive, kreative und initiative Mitarbeit in den Vereinten Nationen. Wir wollen alle Möglichkeiten nutzen, die VN zu dem zu machen was sie nach der Charta sein soll: „…Kräfte vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern“.

Die VN sind nur so stark wie ihre Mitgliedsstaaten. Deutschland ist gegenwärtig ein schwaches Mitglied. Während manche kleineren Länder die VN durch Ideen und Mitarbeit bestimmen, spielen die VN für die Außenpolitik der schwarz-gelben Regierung keine Rolle. Sie ist nicht durch zukunftsweisende und teambildende Kreativität in VN-Gremien bekannt sondern als Zauderer und Bremser. Wir GRÜNEN wollen, dass Deutschland die VN aktiv stärkt und sie als primäre Arena globaler und internationaler Politik begreift.

Die Gefahr jeder Menschenrechtspolitik, und insbesondere bei Interventionen, legitimiert durch den Verweis auf die Schutzverantwortung, liegt in ihrem Missbrauch für Machtpolitik. Im Falle Libyens wurde eine Sicherheitsratsresolution durch die Staaten der Nato weit über das VN-Mandat hinaus ausgelegt. Daher sind die oben aufgeführten Kriterien so wichtig.

Bezogen auf die vier Haupttatbestände der Schutzverantwortung war über die Jahrzehnte aber nicht der Missbrauch das Problem, sondern das Nichthandeln. Ein Dilemma der Schutzverantwortung besteht darin, dass einzelne Staaten im Sicherheitsrat, allen voran die fünf permanenten Mitgliedstaaten, immer wieder ihre nationalen Interessen über die Achtung der Menschenrechte und ihre Pflicht zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit stellen. Die bestehende Missbrauchsgefahr entbindet uns aber nicht davon, weiterhin für Menschenrechte und die Schutzverantwortung einzutreten. Wir treten deshalb dafür ein, dass kurzfristig auf eine Effektivierung der VN-Verfahren im Bereich der Schutzverantwortung und mittelfristig auf eine Reform des VN-Sicherheitsrats und anderer VN-Institutionen hingewirkt wird.

Reform des VN-Sicherheitsrats und anderer VN-Institutionen

Um die Schutzverantwortung wirklich wirksam umzusetzen, wird aber an einer tiefgreifenderen Reform der relevanten VN-Institutionen letztlich nicht vorbeizukommen sein. Deutschland könnte der notwendigen Reformdebatte Schwung verleihen, wenn es selber bereit wäre, auf einen eigenen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu verzichten und damit als glaubwürdiger Akteur einer postnationalen Außenpolitik eine breite Reformdebatte anstößt. Deutschland soll sich gleichzeitig für eine permanente europäische Vertretung einsetzen, die Frankreich und Großbritannien einbezieht und den/die rotierende(n) Sitz(e) dazu nutzt, eine permanente EU-Position zu koordinieren.

Wir brauchen eine reformierte VN, in denen nicht nur Staaten, sondern auch Regionalorganisationen und Zivilgesellschaft ihren Platz haben, damit die VN zum Ort für globale Problemlösung werden. Es versteht sich von selbst, dass dies kein schnell umsetzbares Projekt ist, sondern eins, das erhebliche Überzeugungsarbeit erforderlich macht.

Wir fordern daher

  • eine Reform des Sicherheitsrates mit dem Ziel einer gerechteren Zusammensetzung unter Beteiligung Afrikas, Lateinamerikas und Asiens. Die Vetomöglichkeiten im Sicherheitsrat wollen wir mit einem Begründungszwang belegen. Langfristig halten wir an der Vision einer Abschaffung des Vetos im VN-Sicherheitsrat fest. Kurzfristig unterstützen wir Initiativen, die eine Begründung der Einlegung eines Vetos im Fall schwerster Menschenrechtsverbrechen vorsehen (wie die von Costa Rica, Singapur, Jordanien, Liechtenstein und der Schweiz vom 3. Mai 2012).
  • Sanktionsentscheidungen des Sicherheitsrates gegen Individuen (Sanktionslisten) müssen gerichtlich überprüft werden können. Hierzu sollte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) beauftragt werden.
  • langfristig braucht es auch eine Möglichkeit VN-mandatierte Einsätzen dahingehend zu überprüfen, ob diese konform zur Charta der Vereinten Nationen sind.
  • die Einrichtung eines VN-Sanktionsfonds, um die Wirksamkeit von Sanktionen als nichtmilitärisches Instrument zu erhöhen. Der Fond soll dazu dienen, die Folgen der Sanktionen humanitär verträglich und verantwortbar zu gestalten und die negativen Auswirkungen auf Drittstaaten zu minimieren. Betroffene Staaten sollen dadurch adäquate Entschädigungen erhalten, damit sie ein Sanktionsregime unterstützen, nicht unterlaufen und vor allem schnell umsetzen.
  • dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt und sich stärker an der Umsetzung von Mandaten der VN beteiligt. Deutschland ist zwar einer der größten Geldgeber der Vereinten Nationen, gehört bei den Truppenstellern zu VN-geführten Missionen aber zu den Schlusslichtern. Daher sollte sich Deutschland stärker an von den Vereinten Nationen geführten Friedensmissionen beteiligen. Direkt geführte VN-Missionen haben Vorrang vor den Militärmissionen, die zwar VN-mandatiert sind, aber von EU oder NATO durchgeführt werden. An der Vision, den VN eigene ständige Truppen zu unterstellen, anstatt nationaler Militärkontingente, halten wir fest.
  • die Stärkung der Peacebuilding Commission und eine konsequentere und schnelle Überführung von friedenserhaltenden (Peacekeeping-) Missionen in zivile Friedensmissionen zum Wiederaufbau- (Peacebuilding). Deutschland sollte für eine engere Verzahnung der PBC mit dem Sicherheitsrat eintreten, damit bei Mandaten für VN-Friedensmissionen bereits von Anfang an die Aufgaben der Friedenskonsolidierung nach Ende des Konflikts mitgedacht werden. Denn ein konsequenter Friedensaufbau kommt bislang viel zu kurz. Das Beispiel Sierra Leone zeigt, dass die Kosten von vier Monaten Peacekeeping den Kosten für vier Jahre Peacebuilding entsprechen. Daher sollten wir anstatt auf teure und umfangreiche Peacekeeping-Missionen, mehr auf zivile Peacebuilding Missionen setzen und diese ausbauen.
  • der Internationale Strafgerichtshof gestärkt wird und im Falle eines schwerwiegenden Verdachts auf schwerste Menschenrechtsverletzungen die Situation an die Chefanklägerin des IStGH überwiesen wird.
  • das Thema Frauen, Frieden und Sicherheit auf Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen 1325, 1820, 1888 und 1889 auch als Herausforderung im Sinne der Schutzverantwortung begreifen und in einen nationalen Aktionsplan zu berücksichtigen.
  • konstruktiv auf die brasilianische Initiative „Responsibility While Protecting“ einzugehen.

VI.

Der vorliegende Beschluss beschreibt unsere Überzeugungen. Es gibt für die großen globalen Herausforderungen keine nationalen Lösungen. Es geht global um nicht weniger als eine Stärkung des Rechts gegen das Recht des Stärkeren und um eine positive Gestaltung der Globalisierung, die Armut und Ausgrenzung angeht und zugleich die menschlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten wahrt. Wir wenden uns mit dem Beschluss gegen eine Politik der Renationalisierung der Außenpolitik, wie sie schwarz-gelb betreibt. Die Bundesregierung setzt einseitig auf kurzfristige nationale Interessen, statt auf eine langfristig gerechte Gestaltung von Globalisierung. Die Herstellung und den Schutz globaler Gemeingüter, etwa globale Standards zum Schutz der Biosphäre oder zur Befreiung von Armut oder Gewalt, ist mit diesem Politikansatz nicht zu erreichen. Genauso wenden wir uns gegen eine Politik, die Friedensmissionen und Auslandseinsätze der Bundeswehr nach den entsprechenden Kapiteln der VN Charter pauschalisierend und differenzlos als „Krieg“ bezeichnet. Die BAG Frieden von Bündnis 90/Die Grünen steht daher ebenso zur internationalen Verantwortung wie wir uns dafür einsetzen, die Friedenspolitik wieder ins Zentrum unserer politischen Agenda zu rücken.


1 darüber hinaus: siehe BDK-Beschluss Kiel zu Rüstungsexporten www.gruene-frieden.de

2 60 Prozent der Anwesenden und 71 Prozent der stimmberechtigten Mitglieder der BAG Frieden haben sich für Variante A ausgesprochen.

3 31 Prozent der Anwesenden und 24 Prozent der stimmberechtigen Mitglieder der BAG Frieden haben sich für Variante B ausgesprochen. Die Rest hat sich enthalten.


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