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27.09.14 –
Seit über drei Jahren eskaliert in und um Syrien eine furchtbare humanitäre Katastrophe, die seit Ende letzten Jahres auch den Irak voll erfasst hat. Die internationale Gemeinschaft war und ist jedoch nicht in der Lage oder Willens, ihrer Schutzverantwortung gegenüber der syrischen und irakischen Bevölkerung gerecht zu werden. Bislang gibt es kein politisches und abgestimmtes Gesamtkonzept zum Umgang mit der Situation, sondern viele gegeneinander laufende Interessen der Einflussmächte in der Region. Die Leidtragenden sind inzwischen über 12 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, unzählige Verletzte sowie die Angehörigen von mehr als zweihunderttausend Toten.
In Syrien hat das Assad-Regime seit 2011 Proteste niedergeschlagen und im Bürgerkrieg auf schlimmste Menschenrechtsverletzungen wie Aushungern, Vergewaltigung, Folter, den Einsatz von Chemiewaffen oder den Abwurf von Fassbomben über Wohngebieten gesetzt. Auch haben einige westliche und arabische Staaten durch die Unterstützung einer mangelhaften und inkohärenten Strategie zum Regierungswechsel den Konflikt mit angeheizt und die Region mit destabilisiert. Die Aufständischen wurden nicht nur durch die Formierung der „Freunde Syriens“ politisch unterstützt, sondern auch mit Waffenlieferungen, MilitärausbilderInnen und geheimdienstlichen Informationen. Assad hat gezielt radikale Kräfte aus seinen Gefängnissen entlassen, um die Opposition zu schwächen und zu diskreditieren. Der demokratisch ausgerichtete Protest gegen das Assad-Regime wurde so mehr und mehr von islamistischen Gruppen gekapert; die Menschenrechtsverletzungen nahmen auch auf Seiten der Aufständischen zu. Viele islamistische Milizen, aber auch ehemalige Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) sind inzwischen zu ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien) übergelaufen. Die demokratischen und gemäßigten RebellInnen sind bis fast zur Bedeutungslosigkeit zurück gedrängt.
Den „Freunden Syriens“ und den Aufständischen gelang es seit 2011 nicht, das Assad-Regime zu stürzen, auch weil dieses seinerseits Militärhilfen von Russland und dem Iran erhielt. Da insbesondere die Vetomächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) USA, Großbritannien und Frankreich einerseits sowie Russland anderseits in Syrien entgegengesetzte Ziele verfolgten, war kein gemeinsames Vorgehen möglich. Der Sicherheitsrat war beidseitig blockiert; diese Blockade wurde unter anderem durch die Mandatsüberdehnung im Libyen-Einsatz befördert, durch die sich Russland und China übergangen fühlten. Alle VN-Vermittlungsbemühungen blieben erfolglos.
Die perfide Kriegsstrategie von Assad, der jahrelange Bürgerkrieg sowie die Unterstützung islamistischer Kräfte aus den Golfstaaten heraus, haben das Erstarken von ISIS in Syrien und ihren Terrorzug auch im politisch fragilen Irak ermöglicht. Das barbarische Vorgehen von ISIS gegen JesidInnen, ChristInnen, TurkmenInnen, SchiitInnen und SunnitInnen sowie der Anspruch, ein von territorialen Grenzen unabhängiges „Kalifat“ zu errichten, dürfen nicht hingenommen werden.
Dieses „Kalifat“ soll einer Ideologie folgen, die durch eine Pervertierung islamischer Glaubensgrundsätze einzig und allein darauf ausgerichtet ist, totalitäre Herrschaft durch die Verbreitung von Angst und Schrecken auszuüben. ISIS agiert jedoch nicht blind ideologisch, sondern verfügt über eine strategisch gut organisierte Streitmacht und versteht sich geschickt darin, Bündnisse mit ausgegrenzten Gruppen in Syrien und Irak zu schließen. Hinzu kommt eine hochprofessionelle Marketingstrategie über die sozialen Netzwerke und das Internet, mit der es ISIS gelingt, auf frustrierte und perspektivlose Jugendliche aus der ganzen Welt eine hohe Anziehungskraft auszuüben. In Verbindung mit den militärischen Erfolgen zog ISIS so weltweit Tausende freiwillige KämpferInnen an, beispielsweise aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Türkei, Belgien, Tunesien, Saudi-Arabien, Jordanien oder Russland. Zudem ist ISIS gut mit anderen Terrorgruppen vernetzt und findet Nachahmer in anderen Ländern wie Libyen.
Die militante Terrororganisation ISIS war ursprünglich ein Teil von Al-Qaida im Irak. Nach der amerikanischen Invasion im Jahr 2003 war sie wesentlich verantwortlich für den Aufstand gegen die irakische Regierung und die USA. Zusammen mit anderen Verbänden konnte sie zunächst zurückgedrängt werden. Wegen der wachsenden Unzufriedenheit mit der Politik des ehemaligen Ministerpräsidenten al-Maliki gewann ISIS jedoch wieder neue Unterstützer, vor allem unter den von der Macht in Bagdad ausgeschlossenen Sunniten im Irak. Al-Maliki hatte es beispielsweise abgelehnt, sunnitische Verbände, die zur Befriedung des Landes beigetragen hatten, in die reguläre Armee zu übernehmen. So haben der andauernde Krieg von Assad gegen die syrische Bevölkerung und eine fehlgeschlagene Politik im Irak die Terrororganisation weiter gestärkt.
In Syrien wurden seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen und terroristischen Überfälle geschätzt über 200.000 Menschen getötet und fast sieben Millionen SyrerInnen zu Vertriebenen im eigenen Land. Hinzu kommen 3 Millionen Menschen, die aus Syrien in die Anrainerstaaten geflohen sind, davon leben zurzeit 140.000 in Ägypten, 600.000 in Jordanien, 230.000 im Irak, 830.000 in der Türkei und bald 1,2 Millionen im Libanon, in dem zuvor 4,5 Millionen Menschen lebten. Nach den jüngsten Angriffen der ISIS auf die kurdischen Gebiete in Syrien sind noch einmal mindestens 130.000 Menschen in die Türkei geflohen. Diese enorm hohen Flüchtlingszahlen stellen eine große Herausforderung für die Infrastruktur und die politische Stabilität der aufnehmenden Gesellschaften dar. Besonders schwer betroffen ist der politisch krisenanfällige Libanon, wo die Flüchtlinge nicht in offiziellen Lagern aufgenommen wurden. Die nach wie vor ausstehende vollständige Ratifizierung der Flüchtlingskonvention im Libanon und der Türkei macht die Versorgung umso schwieriger. Durch den teilweisen Ausschluss vom Bildungs- und Gesundheitssystem verliert eine ganze Generation die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Besonders betroffen sind PalästinenserInnen, die aus Syrien fliehen mussten und so zum zweiten Mal zu Flüchtlingen wurden. Sie finden oft keine Aufnahme in Jordanien und dem Libanon.
Im Irak sind 1,9 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen geworden. Ihnen mangelt es vor allem an Wasser, Nahrung und festen Unterkünften; besonders für den bevorstehenden Winter braucht es dringend Vorkehrungen. Angesichts der inzwischen über 12 Millionen Menschen, die auf umfassende humanitäre Hilfe angewiesen sind, wird die gesamte Region weiter politisch destabilisiert.
Die internationale Staatengemeinschaft hat eine menschenrechtliche Verantwortung, die humanitäre Katastrophe in der Region und den Terror von ISIS nicht hinzunehmen. Dies trifft besonders auf die ehemaligen Kolonialmächte zu, aber auch auf alle Staaten, die die regionalen Diktaturen im Namen von Stabilität und Sicherheit geduldet oder sogar unterstützt haben und sie durch eine einseitige Wirtschaftspolitik vor allem als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte nutzten – etwa für enorm teurere Rüstungsgeschäfte. Und nicht zuletzt besteht eine Verantwortung aufgrund des völkerrechtswidrigen Krieges einer „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA gegen das Regime von Saddam Hussein.
Eine selbstkritische Reflexion der eigenen Geschichte und damit der eigenen Verantwortung, insbesondere in Bezug auf das Sykes-Picot-Abkommen, das die koloniale Gebietsaufteilung zwischen Großbritannien und Frankreich in der Region teilweise willkürlich festlegte, ist längst überfällig. Die berechtigte Kritik an der kolonialen Vergangenheit darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, um die gewaltsame Infragestellung von Grenzen durch ISIS zu rechtfertigen. Eine Veränderung der territorialen Aufteilung der Region in Staaten darf nur in einem friedlichen und regional abgestimmten Prozess erfolgen, dessen Ziel die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechtes sein muss.
Es ist der Rolle und dem Gewicht der EU einschließlich Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands nicht angemessen, dass sie bislang kein entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitisches Konzept für die dramatische Situation vor Ort vorgelegt hat. Die EU sollte sich besonders vorbildlich dafür stark machen, dass unter Führung der Vereinten Nationen eine regionale Konfliktlösung gefunden wird, die vor allem die zwei großen Konkurrenzmächte der Region, SaudiArabien und Iran, aber auch die Türkei einbindet und in die Pflicht nimmt. Als nicht-regionaler Akteur können Deutschland, die EU, aber auch die USA allerdings nur unterstützend helfen, denn der Schlüssel zur wirksamen Bekämpfung von ISIS liegt in der Region.
I Den Teufelskreis von illegitimer Macht und Waffen, deren Verbleib nicht kontrollierbar ist, durchbrechen
Statt über ein politisches Gesamtkonzept zu diskutieren, wurde in Deutschland eine Stellvertreterdebatte über Waffenlieferungen in den Nord-Irak geführt, die völlig an den Bedürfnissen und der Situation vor Ort vorbeiging. Dies wird kurzfristig weder den Menschen vor Ort helfen, noch langfristig zur Stabilisierung der Region beitragen. Im Gegenteil: Das Proliferationsrisiko von Waffen ist enorm hoch und kann dazu beitragen, diesen oder andere Konflikte noch anzuheizen oder neue mit auszulösen. Doch nach wie vor fehlt eine international abgestimmte Strategie für die Region. Wir stehen zu den Grundsätzen der restriktiven Rüstungsexportrichtlinien und sprechen uns grundsätzlich gegen Waffenexporte in Krisengebiete aus. Darum begrüßen wir, dass die GRÜNE Bundestagsfraktion die Waffenlieferungen Deutschlands an Kurdistan-Irak mehrheitlich abgelehnt hat.
Wir stellen uns gegen eine Politik, die lediglich die Unterdrückungsmuster des 20. Jahrhunderts und mangelndes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Region fortsetzt. Um die Spirale von illegitimer Macht und Waffen, deren Verbleibt nicht kontrollierbar ist, zu durchbrechen, ist es äußerst wichtig, einen politischen Prozess in der Region anzustoßen: mit dem Golf-Kooperationsrat, mit der Arabischen Liga und mit dem Iran und der Türkei. Ohne die regionalen Machtzentren Türkei, Iran und Saudi-Arabien wird es keine Lösung des Konfliktes geben. Dieser Prozess muss jedoch in eine Lösung auf Ebene der Vereinten Nationen eingebettet sein. Nachdem bereits Kofi Annan und Lakhdar Brahimi als Sondergesandte für Syrien gescheitert sind, muss nun alles getan werden, um ihren Nachfolger Staffan de Mistura zu stärken und zu unterstützen. Sein Mandat sollte auf den Irak ausgeweitet und auch von der arabischen Liga getragen werden.
Der Ölverkauf von ISIS und die externe Finanzierung müssen unterbunden werden. Die Resolution 2170 (2014) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist daher ein erster richtiger Schritt. Es werden jedoch nur sechs ISIS-Mitglieder sanktioniert; dies ist angesichts der finanziellen Macht dieser Terrororganisation viel zu wenig. Die internationale Gemeinschaft muss weitere Anstrengungen unternehmen und daher den Druck auf Katar, Saudi-Arabien und die Türkei erhöhen, um die logistischen und finanziellen Unterstützungsleistungen für ISIS aus diesen Ländern zu unterbinden. ISIS finanziert sich in großen Teilen durch den Verkauf von Öl, aber auch durch den Handel mit geraubtem Kulturgut. Wir setzen uns dafür ein, den Handel mit syrischem Kulturgut weltweit unter Strafe zu stellen.
Wir fordern die Bundesregierung und die EU auf, sich aktiv international für Sanktionen gegen Akteure insbesondere aus Katar und Saudi-Arabien einzusetzen, wenn diese Staaten nicht glaubwürdig an der Austrocknung der Finanzierungsquellen und der Verhinderung einer weiteren Aufrüstung von ISIS mitwirken. Da Katar ein wichtiger finanzpolitischer Akteur vor allem an der Londoner Börse ist, könnten diese Sanktionen auch für den Westen schmerzhaft sein. Diesen Preis müssen die an der Stabilität der Region interessierten Länder bereit sein zu zahlen. Die Türkei ist zwar ein Nato-Mitglied, aber in der Praxis dient sie als Durchgangsstation für die Freiwilligen, die sich der ISIS anschließen wollen, und auch als Rückzugsgebiet für müde und verletzte ISIS-Kämpfer. Die Führungsebene der ISIS wird zwar kriegerisch bekämpft, sie lässt sich aber medizinisch in der Türkei behandeln. Die Türkei muss sicherstellen, dass sie nicht als Aufwachs- und Ruheraum von islamistischen Gruppierungen genutzt wird, die nach Syrien einsickern.
II Unsere doppelte Verantwortung annehmen, historisch und zum Schutz der Menschen
Sowohl in Deutschland und in der EU als auch auf internationaler Ebene herrscht angesichts der großen Herausforderungen durch die zahlreichen Krisen und Kriege unilateraler, atemloser Aktionismus statt eines klugen und durchdachten Vorgehens. Es mangelt an Kapazitäten der strategischen und außenpolitischen Analyse. Außerdem rächt sich hier, dass zu wenig für die strukturelle, personelle und finanzielle Stärkung der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen aber auch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU getan wurde. Stattdessen wurden Reformen immer weiter aufgeschoben und internationale Ansätze von nationalen Egoismen in ihren Handlungen eingeschränkt und teilweise paralysiert.
Wir anerkennen die Leistungen der Anrainerstaaten, der aufnehmenden Gemeinden und der vielen zivilen wie VN-Hilfsorganisationen, die sich unter den immens schwierigen Bedingungen für die Belange der Flüchtlinge in Syrien, Irak und deren Nachbarstaaten einsetzen. Auch begrüßen wir die Bereitschaft der EU, humanitäre Hilfe im größeren Umfang für die Region bereitzustellen. Gleichzeitig kritisieren wir allerdings, dass es bislang keine ernsthaften Bemühungen gegeben hat, über die Vereinten Nationen zu einer umfassenden Lösung und Bearbeitung der Krise zu kommen.
Die allerdringlichste Aufgabe ist eine humanitäre Offensive zur Unterstützung der Flüchtlinge und intern Vertriebenen:
Angesichts der extremen Bedrohung der Zivilbevölkerung in Syrien und Irak, insbesondere bestimmter ethnischer, sprachlicher oder religiöser Gruppen, ist ein gemeinsames, effektives Vorgehen im Sinne der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) durch die Vereinten Nationen (VN) längst überfällig. Die Bundesregierung sollte sich daher für einen Beschluss des Sicherheitsrates einsetzen.
Wenn der Sicherheitsrat ein Mandat beschließt, sollte Deutschland sich gegebenenfalls aktiv an dieser VN-Mission beteiligen. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockadehaltung einer oder mehrerer Vetomächte das Völkerrecht und die VN ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat. Im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass die Generalversammlung anstelle des Sicherheitsrates mit qualifizierter Mehrheit Sanktionen bis hin zu friedenserzwingenden Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta beschließt und sich gegebenenfalls an dieser VN-Mission beteiligen. Für den Fall, dass sowohl der Sicherheitsrat als auch die Generalversammlung kein Mandat beschließen, sollte Deutschland sich nicht an militärischen Operationen zur Bekämpfung von ISIS beteiligen, wie sie Präsident Obama derzeit ausformuliert.
Das Erstarken und den raschen Vormarsch von ISIS im Nord-Irak kann man nicht ohne einen Blick auf das bürgerkriegszermürbte Syrien verstehen und beantworten. Immer lauter stellen sich „westliche“ Staaten die Frage, ob sie bzw. die internationale Gemeinschaft mit dem Assad-Regime kooperieren sollten, um ISIS zurückzudrängen. Wir sind strikt gegen eine Kooperation mit dem Assad-Regime, aufgrund der unfassbaren Verbrechen, die Assad begangen hat und die nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfen. Eine Kooperation mit dem syrischen Regime aufgrund der eigenen Interessen wäre eine direkte Fortsetzung der jahrhundertealten Politik „des Westens“ in der Region, die erst zu dieser Welle von Instabilität und Krieg geführt hat. Aus Angst vor noch mehr Gräueltaten an ihrer Gemeinschaft würde eine solche Kooperation, wie auch immer sie aussähe, noch mehr Rekruten in die Arme der ISIS treiben und dem Kampf gegen die Straffreiheit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit schweren Schaden zufügen.
Unbenommen von der Frage der Kooperation mit dem syrischen Präsidenten muss bleiben, dass Deutschland und die EU in Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft die gemäßigteren und konstruktiven Oppositionsparteien unterstützen sollten. Sie kämpfen seit über drei Jahren mit dem Mut der Verzweiflung gegen das grausame Assad-Regime.
III Langfristig und verlässlich in der Region engagiert bleiben
Eine politische Lösung im Irak ist für den langfristigen Wiederaufbau im Land und in der Region von zentraler Bedeutung. Wir begrüßen daher den Rücktritt von Nuri al-Maliki, der mit seiner Politik der Ausgrenzung gegenüber den SunnitInnen zu einer Destabilisierung des Iraks beigetragen hat. Sein Nachfolger al-Abadi hat mit der Bildung einer neuen Regierung erste wichtige Schritte getan. Er muss einen Versöhnungsprozess zwischen den Glaubensgemeinschaften und ethnischen Gruppen voranbringen, denn ohne eine echte Beteiligung aller Gruppen an der Gestaltung der Politik gibt es kein Fundament für einen langfristigen Frieden im Irak. Die internationale Gemeinschaft sollte diesen Prozess mit BeraterInnen, ExpertInnen und einer Präsenz in Bagdad unterstützen. Zudem muss es innerhalb der gesetzten Frist von drei Monaten gelingen, die den KurdInnen verfassungsgemäß zustehenden 17 % der staatlichen Öleinnahmen sowie den ihnen zustehenden Teil der irakischen Rüstungsgüter zu erhalten. Beides sollte endlich freigegeben werden, um die Verhandlungen über die Auslegung der irakischen Verfassung und die Konsequenzen für Bagdad und Erbil wieder in Gang zu bringen. Es wäre fatal, die politischen, diplomatischen und militärischen Bemühungen darauf zu konzentrieren, nur die kurdische Region von den ISIS-Kämpfern zu befreien und eine Art Pufferzone und sicheres Gebiet in einer vom Terror drangsalierten Region zu schaffen. Das würde weder der Region noch den Menschen Sicherheit und eine Perspektive bringen. Außerdem muss es gelingen, die sunnitischen Stämme und die mehrheitlich von sunnitischen AraberInnen bewohnten Gebiete einzubinden und davon zu überzeugen, dass ihre Interessen durch die Zentralregierung in Bagdad besser gewahrt werden, als von ISIS. Nur so kann es gelingen, die ehemaligen BaathistInnen und OffizierInnen der Saddam-Armee von ISIS zu trennen.
Wir unterstützen die kurdische Autonomie-Regierung von Kurdistan-Irak bei ihren Bemühungen zur Bekämpfung von ISIS und dabei, die zahlreichen Flüchtlinge zu versorgen, die sie mit großer Selbstverständlichkeit aufgenommen haben. Und wir halten eine politische Lösung der aktuellen Streitigkeiten im Irak und ein abgestimmtes strategisches Vorgehen gegen eine langfristige Herrschaft von ISIS in den von ihr besetzten Gebieten für die dringlichste Aufgabe, die nur mit einer funktionierenden Zentralmacht im Irak erreicht werden kann. Die Fokussierung auf die Aussöhnung der irakischen Fraktionen in der aktuellen Situation kann nicht bedeuten, dass das Recht der KurdInnen in Frage gestellt wird, sich per Referendum friedlich und unter Einhaltung von internationalem Recht vom Irak loszulösen und ihren eigenen Staat zu gründen. Jedoch halten wir zurzeit die Lösung der vom ISIS-Terror verursachten Krise für eine drängendere Aufgabe, als eine neue Baustelle zu schaffen.
Für den zivilen Wiederaufbau in Syrien und dem Irak fordern wir, so schnell wie möglich in die Entwicklungszusammenarbeit einzusteigen. Dazu gehört, in Abstimmung mit den internationalen Partnern den Irak zu einem Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu machen sowie die regionale Zusammenarbeit zu stärken und für die betroffenen Länder zivile Aufbaumittel vergleichbar mit denen für Afghanistan in Höhe von ca. 400 Millionen Euro pro Jahr bereitzustellen. Darüber hinaus bedarf es der sicheren Zusage, die Zusammenarbeit auf diesem Niveau mindestens zehn Jahre aufrechtzuerhalten und auch danach aktiv zu bleiben. Im Durchschnitt benötigen PostKonflikt-Staaten ca. 30 Jahre, bis die staatlichen Institutionen wieder weitestgehend funktionstüchtig sind. Ein Schwerpunkt der zivilen Zusammenarbeit sollte, neben der Versorgung der intern Vertriebenen, auf dem Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen und Infrastruktur, aber vor allem auf dem Versöhnungsprozess liegen.
IV Deutsche und europäische ISIS-Unterstützer: Integrations- und Präventionsarbeit in den Vordergrund stellen
Zusätzlich zu den Entwicklungen in der Region rückt zunehmend das Radikalisierungs- und Rekrutierungspotential von ISIS unter anderem in Westeuropa ins Blickfeld. Auch aus Deutschland sind bereits Hunderte junge Männer in den Nahen Osten gereist, um dort für ISIS oder ähnliche Gruppen am syrischen Bürgerkrieg oder den Kämpfen im Nordirak teilzunehmen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: eine sehr geschickte Medien- und Propagandaarbeit, aber auch jahrelange mangelnde Inklusion und Entfremdung mancher Menschen, die dazu führt, dass sie den Glauben an eine Zukunft in Europa verloren haben und den Versprechungen von ISIS erliegen.
Spätestens seitdem der VN-Sicherheitsrat alle Mitgliedsstaaten in die Pflicht nimmt, auch gegen den Zustrom von Kämpfern an die Terrororganisation ISIS vorzugehen, wird auch in Deutschland über geeignete Maßnahmen diskutiert. Dabei müssen bessere Integrations- und Präventionsarbeit in Deutschland und in Europa in den Vordergrund gestellt werden, anstatt der gegenwärtig diskutierten repressiven und teilweise sogar Grundrechte einschränkenden Maßnahmen. Zudem wenden wir uns entschieden gegen Vorschläge, ISIS-Unterstützern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen oder ihre Personalausweise speziell zu kennzeichnen. Der meist fragwürdige Nutzen solcher Maßnahmen steht in keinem Verhältnis zu dem menschen- und bürgerrechtlichen Dammbruch, den sie bedeuten können.
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