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Katrin Göring-Eckardt: Für eine dauerhafte Lösung der Krise muss sich die EU weiterentwickeln. Wir brauchen mehr europäische Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik und eine starke Wirtschaftsunion. Denn ein gemeinsamer Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung brauchen eine gemeinsame Wirtschafts- sowie eine abgestimmte Sozialpolitik. Dazu gehört auch ein gemeinsamer europäischer Rahmen in der Steuerpolitik und in der Finanzpolitik. Allerdings muss der europäische Integrationsprozess öffentlich sichtbar und transparent entwickelt und gestaltet werden, das heißt, keine Fiskalunion ohne demokratische Legitimierung und soziale Absicherung.
Renate Künast: Anders als Merkel meint, brauchen wir keine „marktkonforme Demokratie“, sondern vielmehr„demokratiekonforme Märkte“. Wir müssen also dafür sorgen, dass insbesondere die Finanzmärkte nicht mehr die Regierungen und Parlamente vor sich hertreiben. Es geht um nichts weniger als die Wiedergewinnung der Souveränität demokratischer Staaten.
Die Fiskalunion umschreibt im Kern eine abgestimmte europäische Finanz- und Steuerpolitik. Das umfasst natürlich eine Finanztransaktionssteuer und auch gemeinsame Haftungen. Diese gibt es übrigens längst: Schwarz-Gelb billigt die Hinterzimmerentscheidungen der EZB und hofft darauf, dass das niemand merkt. Ich trete für einen transparenten und ehrlichen Umgang mit der Schuldenproblematik ein.
Zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Fiskalpolitik gibt es aus meiner Sicht keine wirksame und nachhaltige Alternative, will man die massiven Ungleichgewichte, die eine der Hautursache der Eurokrise sind, erfolgreich bekämpfen. Ich sage aber auch, die Fiskalunion darf nicht der letzte Schritt sein. Ich will ein Europa, dass seinen Bürgerinnen und Bürgern außerdem mehr demokratische Mitbestimmung ermöglicht und Mindeststandards der sozialen Absicherungen garantiert.
Alfred Mayer: Weitere uferlose Schuldenaufnahme mit dem Anspruch, durch weiteres Wirtschaftswachstum irgendwann sie mit Zins und Zinseszins zurückzahlen zu können
Markus Meister: Ich finde, dass die EU auf Dauer nicht an einer gemeinsamen Steuer-, Finanz-, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik herum kommen wird. Das ist auch gut so. Eine Fiskalunion, gerecht gemacht und gut durchdacht, wäre da ein guter und notwendiger Anfang.
Claudia Roth: Die Finanzkrise, die einige Länder Europas an den Rand des Staatsbankrotts getrieben hat und verursacht wurde vor allem durch unregulierte Zockerei an den Finanzmärkten auch gegen die Staaten selbst, führt uns drastisch vor Augen, dass eine Währungsunion ohne eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik nicht funktionieren kann. Viele Staaten mussten in der Folge der Krise an den Finanzmärkten Banken retten und private Schulden übernehmen. Wollen wir das in Zukunft verhindern, müssen wir neben einer klaren Bankenregulierung und der Zerschlagung von Großbanken auch die Währung stärken durch die Einführung einer echten Fiskalunion mit demokratisch legitimierten und transparent agierenden Institutionen. Dabei geht es auch um die Harmonisierung von Steuerpolitik, die Einführung sozialer Mindeststandards in allen EU-Staaten und somit um das Verhindern von Steuer- und Sozialdumping in und unter den EU-Ländern. Nur so wird es möglich sein, Europa vor weiteren Finanzkrisen zu sichern und die Bürgerinnen und Bürger sowie die Staatshaushalte von der Erpressbarkeit durch über Grenzen hinweg agierende Unternehmen, Banken oder Finanzjongleure zu schützen. In der Summe wird das ein Mehr an Europa bedeuten und letztlich auch die Abgabe von nationalen Kompetenzen an Europa. Dabei wird darauf zu achten sein, dass die demokratischen Beteiligungsrechte der Menschen nicht geschliffen, sondern ausgeweitet werden. So muss die von uns angestrebte Fiskalunion auf einer breiten demokratischen Legitimation basieren und sowohl von den nationalen Parlamenten als auch vom Europäischen Parlament getragen werden. Ihre Institutionen müssen transparent arbeiten und der Kontrolle der Parlamente unterliegen.
Bei all dem geht es eben nicht darum, eine Sparunion zu schaffen, welche die überschuldeten Staaten an die Leine legen soll. Während Merkel Europa lieber zu Tode gespart hätte, haben wir immer deutlich gemacht, dass es auch Investitionen in nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung braucht. Wir sind für ein europäisches Investitionsprogramm in Bildung, soziale Gerechtigkeit und in die sozial-ökologische Transformation, damit in der Zukunft nicht noch mehr soziale und ökologische Schulden angehäuft werden. Wir sind für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eines Altschuldentilgungspakts, damit neben der Begrenzung neuer Schulden auch die Tilgung der alten angegangen wird. Anders als die anderen Parteien wollen wir Investitionen mit unserem Green New Deal eine klare grüne Richtung geben und keine neue Orgie an Straßenbau, Flughäfen, Intensivierung der konventionellen Landwirtschaft und Bettenburgen heraufbeschwören. Deshalb distanzieren wir uns auch von einem überholten und rein quantitativen Wachstumsbegriff à la Philipp Rösler, der die bestehenden Krisenverhältnisse verfestigt, anstatt sie durch neue Impulse zu lösen. Auch dies muss eine Wirtschaftsunion gewährleisten.
Franz Spitzenberger: Das höchste der Gefühle einer Fiskalunion für mich wären einheitliche Unternehmenssteuern.
Jürgen Trittin: Zweifelsohne ist Haushaltskonsolidierung wichtig und notwendig. Aber Konsolidierung geht nicht über bloße Sparpolitik. Konsolidierung heißt unnötige Ausgaben zu Kürzen, falsche Subventionen zu streichen, die Einnahmeseite zu stärken, Schulden zu tilgen und nachhaltig Wertschöpfung zu organisieren.
Was Merkels einseitige Sparpolitik bedeutet sehen wir derzeit tagtäglich in den schrecklichen Nachrichten aus den Südländern über Verarmung, Rezession, Arbeitslosigkeit - der klassische Teufelskreis falscher rezessiver Politik. So werden die Konsolidierungsziele verfehlt.
In einer wirklichen Fiskalunion würden sich die europäischen Staaten auf eine neue Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben verständigen, zu der auch eine solide Einnahmepolitik gehört. Der Kampf gegen Steueroasen in Europa hat oberste Priorität, die Harmonisierung von Steuersätzen zur Vermeidung von Steuerdumping kommt gleich danach. Europas Oberschichten müssen sich wieder an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen. Wir brauchen europaweite Vermögensabgaben, um die Kosten der Krise zu begleichen. Teil der Fiskalunion muss meiner Meinung nach außerdem eine wirksame europäische Bankenaufsicht und ein europäischer Bankenrestrukturierungsfonds sein. Diesen müssen die Banken selber finanzieren - nie wieder sollte das Geld der Steuerzahler dafür eingesetzt werden, die Vermögen der Bankgläubiger zu retten.
Außerdem muss die EU für Investitionen in den Krisenländern sorgen und sich in Zukunft noch stärker auf die Förderung der ärmsten und rückständigsten Regionen fokussieren. Zu einer echten Fiskalunion gehört auch, dass die EU-Mitgliedsstaaten die gefährlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die zwischen ihnen bestehen, abbauen. Dies betrifft nicht nur die sogenannten Defizitländer, sondern auch Deutschland - als Überschussland - ist in der Pflicht. Es muss seine Binnennachfrage ankurbeln. Ein wichtiger Beitrag hierfür wäre die überfällige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes.
Europa war und ist eine Transferunion. Sie wird dies mehr werden müssen. In diesem gemeinsamen Europa darf es kein Steuerdumping, kein Lohndumping und kein Regulierungsdumping geben.
Werner Winkler: Ich bilde mit meiner Frau eine Fiskalunion, nicht aber mit meinen erwachsenen Geschwistern oder deren Familien. Die erste Frage muss so gesehen lauten: Welche Länder der EU wollen sich wie eng miteinander verbinden? Der finanzielle Aspekt folgt also dem ideellen, nicht umgekehrt - sonst müsste ich ja meinen Banker heiraten, wenn er mir einen Hauskredit genehmigt. Die Frage nach der "wirklichen" Fiskalunion bräuchte vielleicht ein Beispiel, damit ich die Bedeutung beurteilen könnte - also etwas "wie in den USA". Dort haben die Bundesstaaten bekanntlich viele Freiräume in finanzieller Hinsicht, jeder zahlt aber seine Schulden selbst und kann keine unbegrenzten Kredite bei der Zentralbank aufnehmen. Ob wir in der EU weiter gehen sollten, sollten meiner Meinung nach nicht die grünen Spitzenkandidaten entscheiden, sondern die Bürger Europas. Dafür würde ich gerne werben - unter uns Grünen und wenn wir darüber Konsens hätten, auch in der Öffentlichkeit. Denkbar wäre auch, dass eine kleine Gruppe Länder eine Vorreiterrolle einnimmt, sich deutlich stärker miteinander verbindet und dann andere Staaten einlädt, sich dieser Gruppe anzuschließen - durchaus auch über die derzeitigen Grenzen Europas hinaus, etwa in Richtung Nordafrika.
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