BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

BAG Frieden & Internationales

10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Antrag

Antrag an die Bundesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Grüne, Kiel 2011 Bündnis 90/Die Grünen sehen in der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshof (ICC) einen Meilenstein im Kampf gegen Straflosigkeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen. Vor 10 Jahren trat das Rom-Statut in Kraft und der ICC konnte seine Arbeit aufnehmen. Er wird von der EU und ihren Mitgliedsstaaten unterstützt. Mit den jüngsten Beitritten u.a. von Tunesien, Malediven, Grenada und Philippinen zählen heute 118 Staaten zu seinen Mitgliedern und er wird weltweit von einer NGO-Koalition von mehr als 1.500 NGOs unterstützt.

20.11.11 –

Antrag an die Bundesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Grüne, Kiel 2011

10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof

schwerste Menschenrechtsverletzungen bekämpfen – Individualrechtsschutz im Völkerrecht ausbauen

 

Bündnis 90/Die Grünen sehen in der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshof (ICC) einen Meilenstein im Kampf gegen Straflosigkeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen. Vor 10 Jahren trat das Rom-Statut in Kraft und der ICC konnte seine Arbeit aufnehmen. Er wird von der EU und ihren Mitgliedsstaaten unterstützt. Mit den jüngsten Beitritten u.a. von Tunesien, Malediven, Grenada und Philippinen zählen heute 118 Staaten zu seinen Mitgliedern und er wird weltweit von einer NGO-Koalition von mehr als 1.500 NGOs unterstützt. Derzeit behandelt der ICC Fälle aus Uganda, DR Kongo, Darfur (Sudan), Zentralafrikanische Republik, Kenia und Libyen. Weitere Untersuchungen des ICC laufen in Afghanistan, Kolumbien, Georgien, Guinea, Honduras, Nordkorea, Nigeria und Palästina. Die Arbeitsbelastung des ICC hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, die finanzielle Ausstattung muss auch künftig gesichert sein.

Der ICC trägt mit seiner Arbeit dazu bei, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen aufgearbeitet und höchste Staatsvertreter für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Er leistet somit einen wichtigen Beitrag für Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Friedenspolitisch ist es von großer Bedeutung, dass sich der ICC auf eine Definition des Angriffskriegs geeinigt hat, um Kriege zu verhindern und gegebenenfalls die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Auch Deutschland hat das Rom-Statut ratifiziert, unterstützt den ICC politisch und finanziell, hat ein eigenes Völkerstrafgesetz verabschiedet und angekündigt, die in Kampala vereinbarte Definition zum Angriffskrieg zu ratifizieren. Deutschland hat aber noch immer nicht alle schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen der eigenen Vergangenheit aufgeklärt und entschädigt. Der vom deutschen Kaiserreich begangene Genozid an den Herero, Nama und anderen Volksgruppen in Namibia, dem damaligen Deutsch-Südwest Afrika ist bis heute nicht aufgearbeitet. Deutsche Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht haben individuelle Entschädigungsansprüche der Opfer des Naziregimes im Zweiten Weltkrieg und ihrer Familien gegen den deutschen Staat in der Nachkriegszeit und bis heute in ständiger Rechtsprechung abgelehnt. Neuerdings haben italienische und griechische Gerichte hingegen Entschädigungsansprüche gegen den deutschen Staat anerkannt (Massaker in Griechenland, Zwangsarbeit und Kriegsverbrechen in Italien). Wegen dieser Urteile klagt Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ). Es geht dabei nicht um die Frage, ob die Opfer individuelle Ansprüche haben, sondern nur darum, ob die italienischen und griechischen Gerichte abweichend von der völkerrechtlichen Regel der Staatenimmunität über solche Ansprüche überhaupt entscheiden durften (nicht ob solche bestehen). Bündnis 90/Die Grünen bedauern, dass es noch immer Opfer von deutschen Gewaltverbrechen im Zweiten Weltkrieg gibt, die trotz des unter rot-grün eingerichteten Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter keine Entschädigung erhalten haben. Wir sind der Auffassung, dass auch in diesen Fällen individuelle Entschädigungen geleistet werden müssen. Der Grundsatz der Staatenimmunität darf kein Schutzschild sein, hinter dem sich Staaten in Zukunft vor ihrer Verantwortung dauerhaft verstecken können.

Bedenklich stimmt auch, dass nicht in allen Fällen Opfern kriegerischer Auseinandersetzungen, an denen Mitgliedstaaten des Europarates teilnahmen, der Rechtsweg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eröffnet sein soll.

Probleme hinsichtlich des Individualrechtsschutzes ergeben sich auch durch Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die sich vor allem bei der Terrorismusbekämpfung unmittelbar gegen Einzelpersonen oder Personengruppen richten. Denn auf der Ebene der Vereinten Nationen existiert kein Rechtsschutzsystem, in dem die Betroffenen eine Überprüfung derartiger Maßnahmen verlangen können. Zwar hat der Europäische Gerichthof (EuGH) für die Europäische Union diese Rechtsschutzlücke teilweise geschlossen, besser wäre jedoch, wenn die Vereinten Nationen selbst Rechtsschutz gewähren würden.

Auch bei der Ermordung von Elisabeth Käsemann, Klaus Zieschank sowie der anderen mehr als 100 deutschen Opfern der argentinischen Militärdiktatur Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre ist nicht klar, inwieweit sich Deutschland für seine verhafteten Bürgerinnen und Bürger engagiert hat. Vermutlich hat das Auswärtige Amt notwendige Hilfeleistungen unterlassen.

Bündnis 90/Die Grünen fordern daher von der Bundesregierung:

  • den Kampf gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze berühren und die Straflosigkeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen zu einem Schwerpunkt der Außenpolitik machen;
  • die Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof zu stärken und dafür die Zahlungen u.a. für den ICC-Treuhandfonds für Opfer und das Zeugenschutzprogramm zu verstetigen und zu steigern, sowie sicherzustellen, dass der ICC über die nötigen Mittel verfügt, um jeweils vor Ort Recherchen durchführen zu können;
  • zu überprüfen, ob der Verteidigung in den ICC-Verfahren die Mittel zur Verfügung stehen, die eine ausreichende Wahrnehmung der Angeklagtenrechte ermöglichen;
  • sich gegenüber Ländern insbesondere China, Russland und den USA für eine Ratifizierung des Rom-Statuts einzusetzen, damit auch diese Staaten sich der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs unterwerfen;
  • in den Außenbeziehungen für eine Unterstützung des ICC werben, gleichzeitig zu verhindern, dass der ICC zu einem Spielball des VN-Sicherheitsrats wird, der immer dann angerufen wird, wenn es politisch opportun ist;
  • den auf der ICC-Reviewkonferenz von Kampala 2010 vereinbarten Straftatbestand des Angriffskriegs zu ratifizieren;
  • das internationale Menschenrechtsschutzsystem so auszubauen, dass allen Opfern von Menschenrechtsverletzungen- auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen –individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden;
  • den Grundsatz der individuellen Entschädigung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen anzuerkennen und so auszugestalten, dass er nicht durch die Berufung auf die Staatenimmunität leer laufen kann;
  • ernsthaft zu prüfen, wie und in welchen Umfang weitere Opfer deutscher Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg entschädigt werden können;
  • sich auf der Ebene der Vereinten Nationen für ein Rechtsschutzsystem einzusetzen, welches auch Einzelpersonen Rechtsschutz gewährt, die unmittelbar von Maßnahmen des Sicherheitsrates betroffen sind;
  • die Akten des Auswärtigen Amts im Fall der durch die argentinische Militärdiktatur ermordeten Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank sowie der anderen mehr als 100 deutschen Opfer offen zu legen;
  •  weiterhin die Klagen gegen ehemalige Angehörige der argentinischen Militärdiktatur zu unterstützen;
  • eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, um zu klären, wer dafür verantwortlich ist, dass die Ermordung deutscher Opfer der argentinischen Militärdiktatur bis heute nicht aufgeklärt wurde;
  • sich generell um eine verbindliche Regelung zu bemühen, damit Angehörige und Opferanwälte Einsicht in die Akten nehmen können;
  • sich aktiv zur Aufarbeitung der deutschen Verantwortung für den Genozid in Namibia einzusetzen, dabei mit der dortigen Regierung und den Nachfahren der Opfer  zu kooperieren und in diesem Zusammenhang auch Entschädigungsansprüche zu prüfen.

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