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22.02.20 –
Nach der Ermordung des ehemaligen Präsidenten des Jemen, Ali Abdullah Saleh, und der weiteren Zersplitterung der Konfliktparteien ist eine langfristige Lösung für den seit 2015 andauernden bewaffneten Konflikt im Jemen in weite Ferne gerückt. Die Situation im Jemen ist laut den Vereinten Nationen die schlimmste humanitäre Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg. Um eine Normalisierung der humanitären Katastrophe zu verhindern, fordern wir eine konsequente Verurteilung und Sanktionierung der illegalen Blockaden humanitärer Hilfsgüter, einen Stopp der Waffenlieferungen an die beteiligten Kriegsparteien und eine umfangreiche und feministische Herangehensweise an mögliche Waffenstillstandsverhandlungen, Friedensgespräche und Überlegungen zur Postkonfliktphase.
1. Aktiv gegen die humanitäre Katastrophe im Jemen - keine Normalisierung des Leidens!
Laut UNICEF benötigen rund 80% der jemenitischen Bevölkerung dringend humanitäre Hilfeleistungen. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate setzen dabei die gezielte See- und Luftblockade von humanitärer Hilfe als perfide Kriegstaktik ein. Dieses Vorgehen ist völkerrechtswidrig und verstößt gegen die Genfer Konventionen sowie die Sicherheitsratsresolutionen 2140 und 2216. Zu den weiteren Verstößen aller Kriegsparteien gehören gewaltsame Angriffe auf friedliche Demonstrant*innen sowie die Blockade elektronischer Kommunikation, Verschwindenlassen, Folter und außergerichtlichen Tötungen und der Einsatz von Kindersoldat*innen. Reporter ohne Grenzen geht von eine Dunkelziffer verschwundener Personen aus, unter anderem geflüchteter und getöteter Journalist*innen. Eine flächendeckende Dokumentation und Information über Menschenrechtsverletzungen kann nicht gewährleistet werden.
Vor allem Kinder leiden stark unter der im Jemen vorherrschenden Gewalt. Ihr Recht auf Leben, Gesundheit, Bildung, sowie ihr Schutz vor Missbrauch, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit wwerden während des bewaffneten Konflikts nicht gewährleistet. Mehr als 12 Millionen der jemenitischen Kinder benötigen dringende humanitäre Hilfe. Unterernährung, der fehlende Zugang zu Bildung und die Traumatisierung durch ständige Konfrontation mit Gewalt lassen im Jemen eine ganze Generation verelenden.
Wir verurteilen die Politik Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate und des Iran, die im Jemen einen Stellvertreter*innenkrieg auf dem Rücken der Bevölkerung austragen. Wir bekräftigen die Forderungen der BDK 2018 und fordern:
2. Die EU trägt ihre Mitschuld: Waffenexporte stoppen!
Um die andauernde humanitäre Katastrophe im Jemen nicht zu verschlimmern, muss die Bundesregierung einen sofortigen Stopp von Waffenexporten an die Kriegsparteien umsetzen. Zu den von der EU belieferten Kriegsparteien zählt die arabische Koalition aus Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und sowie der Sudan.
Ein Bericht der Expert*innenkommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen (VN) vom August 2018 bestätigt mehrfach Brüche des humanitären Völkerrechts seitens der kriegführenden Parteien. Die Prämisse, zivile Opfer zu meiden, wurde von keiner der Kriegsparteien eingehalten. Dabei wurden mehrfach zivile Infrastruktur wie Märkte, Krankenhäuser und Schulen zur Zielscheibe der Auseinandersetzungen. Recherchen von German Arms sowie der investigativen Plattform Disclose belegen deutlich die Nutzung von deutschen und französischen Waffen durch die im Jemenkrieg beteiligte arabischen Allianz.
Lieferungen an die Kriegsparteien verletzen die politischen Richtlinien der Bundesregierung zu Rüstungsexporten, sowie mehrere vom Europäischen Parlament gefassten Beschlüsse, darunter der Beschluss 2017/2849. Diese sehen vor, Rüstungsexporte an die im Jemenkrieg beteiligten Staaten unmittelbar zu stoppen. Die temporär eingeführten Exportstopps an Saudi-Arabien im November 2018 haben dabei nicht zu einem langfristigen und umfangreichen Stopp der Exporte geführt. Erstens wurden trotz Exportstopp sondergeschützte Geländewagen im Wert von rund 800.000€ exportiert. Zweitens betraf der Exportstopp keine Gemeinschaftsprojekte, sodass die Lieferung von deutschen Zwischenprodukten an Waffenlieferant*innen in Frankreich und Großbritannien weiter ging. Drittens stoppte die Bundesregierungen nicht die Waffenlieferungen an die Vereinigten Arabischen Emirate, die als Teil der arabischen Koalition mit Saudi-Arabien im Jemenkrieg agieren und allein im ersten Halbjahr 2019 Waffenlieferungen in erschreckender Höhe von 200 Millionen Euro aus Deutschland erhielten.
Wir bekräftigen die Forderungen der BDK 2018 und fordern:
3. Frauen*, inter* und trans* Personen (FIT): marginalisierte Gruppen schützen und stärken!
Im ersten halben Jahr des Konflikts ist die geschlechtsspezifische Gewalt in Jemen über 70 Prozent angestiegen. Von Kinderehen waren 2017 14 Prozent mehr Mädchen* unter 18 betroffen als noch im Jahr zuvor. Das hängt damit zusammen, dass sich ökonomische Situation von Frauen* und Kindern aufgrund traditioneller Familienrollen rapide verschlechtert, sobald der Ehemann und Familienvater aus kriegsbedingten Gründen ausfällt. Jemen ist derzeit auf dem letzten Platz des Women, Peace and Security Index des Georgetown Instituts - hinter Syrien und Afghanistan. Von dem Index werden unter anderem die durchschnittliche Anzahl an Schuljahren, die Beschäftigungsquote, die Verbreitung der Handynutzung durch Frauen*, die finanzielle Inklusion, der Anteil an Parlamentssitzen und Diskriminierung erfasst - in allen diesen Kategorien schnitt Jemen im Jahr 2019 am schlechtesten ab. Dabei betrifft auf Geschlecht basierende Diskriminierung nicht nur Frauen*, sondern oft auch inter* und trans* Personen. Genaue Angaben zu diesen Personengruppen sind aufgrund fehlender Datenerhebung leider nicht möglich.
Für eine Nachkriegsordnung sind die Folgeschäden eines bewaffneten Konfliktes mitzudenken: die Traumatisierung eines großen Teils der Bevölkerung erhöht das Risiko von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt. Hier müssen Prävention und Nothilfe gewährleistet werden.
In den letzten Jahren werden Frauen* zunehmend in zivilgesellschaftlichen Räumen aktiv und nehmen dabei beispielsweise Einfluss auf Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration und die Reduktion von Waffenproliferation. Auf kommunaler Ebene arbeiten Frauen* in einigen Situationen an Frieden, indem sie bewaffnete Akteure konfrontieren und informell Konflikte schlichten. Zusätzlich zeigt sich, dass die Frauen* Bewusstsein für Friedensarbeit in lokalen Gemeinschaften schaffen und diese aktiv vorantreiben - so gibt es bereits Beispiele, in denen Frauen* Friedensverträge zwischen ihren Gemeinschaften und Rebellengruppen vermittelt haben. Bisher haben die VN Frauen* oder Frauen*rechtsgruppen jedoch nicht am offiziellen Friedensprozess beteiligt, was einem umfassenden, inklusiven und nachhaltigem Frieden klar im Weg steht und die Chancen von dauerhaftem Erfolg mindert.
Ohne die Frauen* ist ein nachhaltiger Frieden nicht denkbar. Doch feministische Friedenspolitik sollte auch immer intersektional gedacht werden: Personen, die aufgrund von - einschließlich, aber nicht ausschließlich - ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe, Behinderung, Ethnie, Religion oder ökonomischen Lage marginalisiert oder mehrfach diskriminiert werden, müssen am Friedensprozess beteiligt werden. Nur so kann ein Frieden inklusiv und damit nachhaltig gestaltet werden.
Das Friedenspotential verschobener Geschlechterhierarchien durch den Krieg muss genutzt und Frauen* und andere marginalisierte Gruppen für einen Friedensprozess und die daraus resultierende Nachkriegsordnung ermächtigt werden.
Daher fordern wir:
4. Die Post-war Phase im Blick behalten und begleiten
Trotz der festgefahrenen Situation im Jemen sind Reflektionen über die Gestaltung der Post-war-Phase wichtig. Aktuell kann durch das Sammeln von Daten vermutlicher Kriegsverbrechen dazu beigetragen werden, eine angemessene Ahndung dieser nach Ende des Konflikts zu ermöglichen. Die unrechtmäßigen Angriffe auf zivile Ziele, die Zwangsrekrutierung von Kindersoldat*innen und das Foltern und Verschleppen von Dissident*innen, müssen in einer Post-Konfliktphase in einem Prozess der Gerechtigkeit aufgearbeitet werden.
Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen können nur mit einer breiten Einbindung der jemenitischen Gesellschaft erfolgreich sein. Eine nachhaltige Lösung setzt voraus, dass die Interessen aller Bevölkerungsgruppen, Minderheiten und Regionen des Jemen berücksichtigt werden. Um die divergierenden Interessengruppen in einem Staat zu vereinen, könnten verschiedene föderale Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, eingeräumt werden. Die geostrategischen Vorteile der Küstenregion um Aden müssen in Friedensverhandlungen in gerechter Weise berücksichtigt werden. Die Verteilung von natürlichen Ressourcen könnten in einer möglichen regionalen Aufschlüsselung berücksichtigt werden. Auch der Jemen ist von der Klimakrise in Form von Dürren und Wüstenbildung auf der einen Seite, und starken Überschwemmungen auf der anderen Seite, betroffen. Die Bevölkerung sollte in die Diskussion um Problembereiche wie die Wasserressourcen des Landes mit eingebunden werden, um die Entstehung neuer Konfliktherde zu vermeiden.
In den Verhandlungen muss eine Strategie für die Entwaffnung der Konfliktgruppen im Zentrum der Bemühungen stehen. Es besteht bisher eine große Befürchtung, dass Rache an einer Konfliktpartei genommen wird, sollte sie im Rahmen eines Friedensprozesses die Waffen abgegeben. Solange die Konfliktparteien sich aber auf Waffengewalt stützen, ist eine nachhaltige Friedenslösung nicht in Sicht. Damit es gelingt, dass Mitglieder bewaffneter Gruppen ihre Waffen abgeben und sie Unterstützung bei ihrer Rückkehr in eine friedliche Gesellschaft erhalten, sollte ein konkrete Entwaffnungsstrategie unter Beteiligung aller relevanter Akteur*innen erarbeitet werden werden.
Deshalb fordern wir:
Begründung:
Sowohl im Bundestag als auch innerhalb der Partei existieren bereits Beschlüsse zum Krieg im Jemen.
Doch dem Konflikt wird weder in Deutschland noch in der Weltöffentlichkeit die Aufmerksamkeit gegeben,
die der Dramatik der Situation angemessen wäre. Dies ist gefährlich, denn wo Aufmerksamkeit dauerhaft
verschwindet, schwindet bald auch die Unterstützung für eine positive Transformation der Situation -
sowohl finanziell als auch in Handlungen.
Als Bundesarbeitsgemeinschaft “Frieden und Internationales” von Bündnis 90/Die Grünen beleben wir die
friedenspolitische Tradition der Partei. Dadurch ergibt sich die Pflicht, weiter laut auf den Krieg im Jemen
hin zu weisen, der unter anderem mit deutschen Waffen geführt wird und die schlimmste humanitäre
Katastrophe, die es derzeit gibt, ausgelöst hat. Dabei verschlechtert sich die humanitäre Lage weiterhin -
eine diskursive Normalisierung der Situation darf daher nicht zugelassen werden.
Außerdem weist die derzeitige Beschlusslage in Bund und Partei noch Lücken auf: eine
feministisch-außenpolitische Betrachtung fehlt, genau wie die Vorstellung einer Nachkriegsordnung.
Die Bündnisgrüne Bundestagsfraktion hat bereits einen wegweisenden Antrag zu feministischer
Außenpolitik vorgelegt, es gibt einen Beschluss der LAG Berlin und die Diskussionen um die Relevanz des
Themas werden auch im Grundsatzprogrammprozess fortgesetzt. Abseits von grundsätzlichen
Entscheidungen müssen wir aber auch beginnen, das Thema Feministische Friedens- und Außenpolitik an
praktischen Beispielen anzuwenden und für spezifische Kontexte Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die
Situation in Jemen zeigt exemplarisch, wie Frauen* weiterhin nicht ausreichend an Friedensverhandlungen
beteiligt werden und wie relevant demnach eine feministische Friedenspolitik ist. Insbesondere bei der
Gestaltung der Post-Konfliktgesellschaft tragen Frauen*-Inter-und Transpersonen eine wichtige Rolle, um
nachhaltigen Frieden zu gewährleisten.
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