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07.10.18 –
Grüne europäische Außenpolitik ist immer Friedenspolitik
Bündnis 90/Die Grünen sind eine proeuropäische Partei. Eine Partei, die den europäischen Einigungsprozess in der EU sowie in Europa mitgestalten will. Dies allein ist schon zum Alleinstellungsmerkmal geworden in einer Zeit, in der die deutsche Bundesregierung auf eine Renationalisierung der Politik setzt und europäische Spielregeln missachtet, in der rechtspopulistische Parteien in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ihre Anliegen nicht mit, sondern gegen die EU umsetzen wollen. Für uns Grüne ist die europäische Zusammenarbeit nicht verhandelbar. Die Herausforderungen der Zukunft, wie der Klimawandel, der sozial-ökologische Umbau der Weltwirtschaft und die Festigung demokratischer Gesellschaften können nur mit-, niemals gegeneinander in Europa gemeistert werden. Dies gilt auch für die Herausforderungen, die sich im Bereich der Friedenspolitik stellen.
Europa erfindet sich neu - reden wir mit!
Die Vereinigten Staaten haben viele Jahre die Weltpolitik dominiert wie keine andere Macht. Das US-Militär ist das schlagkräftigste, die Wirtschaft nachwievor stark und auf internationaler Ebene bleiben die USA ein politisches Schwergewicht. Die EU muss sich auch deshalb weiterhin um gute Beziehungen bemühen. Doch seit der Wahl von Donald Trump steht das politische Zuverlässigkeit der USA und die transatlantische Verbindung wie nie zuvor zur Disposition. Die EU reagiert, auch im Lichte des Brexit, mit einer Suche nach neuer, europäischer Stärke und Zusammenarbeit und findet - wie die Prozesse rund um die PESCO zeigen, ihr Potenzial scheinbar vor allem im Militärischen.
Wir lehnen die Forderung , die EU müsse nun auch eine militärische Großmacht werden, ab. Die europäische Geschichte lehrt, dass nicht einseitige Aufrüstung und Militarisierung Frieden bringen, sondern gemeinsame Institutionen, Multilateralismus und die Suche nach Einigung, trotz großer Interessenkonflikte.In Zeiten der sich verändernden globalen Machtverhältnisse muss der Kurs Europas der sein, nach innen und außen, politisch, diplomatisch und zivil für eine friedlichere Welt und internationale Ordnung zu streiten.
Grundsätzlich begrüßen wir das Instrument einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen (PESCO). Gleichzeitig fürchten wir, dass das Primat des Zivilen in der zur Zeit geplanten Variante der PESCO zur Disposition gestellt wird. PESCO müsste im Gegenteil der Abrüstung, dem Schaffen von Synergien dienen, nicht der Aufrüstung. Und sie kann nicht die alleinige Antwort auf Herausforderungen der Sicherheitspolitik sein, sondern kann den notwendigen Ausbau von Diplomatie und ziviler Konfliktprävention und -bearbeitung nur ergänzen. PESCO, so wie es nun ausgestaltet ist, hat einen deutlichen Überhang für industriepolitische Verteidigungspolitik. Der Haushalt, den das EP in Begleitung von PESCO aufgesetzt hat, wird voraussichtlich im Blickfeld eines engen Sicherheitsbegriffs, nicht im Sinne der Menschlichen Sicherheit (Human Security) gestaltet. Pooling und Sharing von Verteidigungskapazitäten in der Europäischen Union sind sinnvoll, sie dürfen aber nicht zum Verkaufsargument für die Erhöhung von Militärausgaben und einer Militarisierung der Europäischen Union genutzt werden. Sicherheit muss immer an erster Stelle Human Security meinen, der Sicherheitsbegriff im Rahmen der PESCO bildet dies in keiner Weise ab. In der EU selbst beginnend heißt das auch, statt Geschenke an die Rüstungsindustrie zu verteilen in den sozialen Frieden innerhalb der EU zu investieren - z. B. durch eine Sozialunion.
Das Europäische Parlament (EP) muss in außenpolitischen Fragen und Fragen von Frieden und Sicherheit mehr Einsicht in die Prozesse und Mitsprachemöglichkeiten, langfristig auch Entscheidungsbefugnisse, haben. Dort, wo eine parlamentarische Kontrolle möglich ist, müssen schon jetzt Entscheidungen, welche die Außen- und Verteidigungspolitik betreffen, transparenter gestaltet werden, um in breiter Öffentlichkeit diskutiert werden zu können. Der Parlamentsvorbehalt des Bundestages darf durch die europäische Kooperation nicht unterlaufen werden.
Europas Stärken müssen Diplomatie, Prävention und zivile Konfliktbearbeitung sein
Deutschland und zahlreiche andere europäische Staaten haben große Fortschritte im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung gemacht. Frühwarnsysteme werden endlich koordiniert, Fachkräfte teilweise gemeinsam ausgebildet und Polizei und Justiz in die Lage versetzt, bei zivilen Einsätzen immer besser ihren Beitrag zu leisten.
Doch es bleiben auch noch viele Baustellen offen. Von einer kohärenten EU67 Außenpolitik und einer kohärenten, vollständig koordinierten Krisenprävention aus der EU sind wir weit entfernt. Die Fachkräfte sind da, aber es sind zu wenige - schon für bestehende Projekte. Dazu kommen viele EU-Politiken, die Kriegsökonomien fördern, Entwicklung verhindern und Konflikte verschärfen. Diesen Politiken muss ein Ende gesetzt werden, sonst arbeitet die EU gegen ihre eigenen friedenspolitischen Ziele. Die jetzige Außenpolitk der EU im Zusammenspiel mit der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten ist friedenspolitisch insgesamt ein zu kleiner Teil der Lösung und noch immer ein zu großer Teil des Problems. Die Werte, für die die EU steht, werden nicht immer gelebt, negative Effekte ausgeblendet und Prävention zu kurz gedacht.
Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung sind heute wichtiger denn je und gehören ins Zentrum der europäischen Außenpolitik. Die EU sollte durch strategisches, präventives und kohärentes Handeln in Führung gehen auf diesem Gebiet. Dazu sind auch die Verbesserung von Frühwarnung, die effektive Förderung und die Koordination von Mediationskapazitäten und eine Stärkung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen erforderlich. Der Evaluation des europäischen Engagements kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die EU kann außerdem mit gutem Beispiel vorangehen, wenn sie die Potenziale und Bedeutung der Arbeit von Frauen in Friedensprozessen beleuchtet.
Wir fordern, dass neben den bestehenden Programmen und Initiativen im Praxisbereich der Prävention auch mehr in wissenschaftliche Programme investiert wird, die es uns ermöglichen, andere Länder und Kulturen noch besser zu verstehen. Es braucht ein ausgebautes Netz an Expert*innen, die die Diplomatie mit ihrem Wissen über andere Staaten und Gesellschaften intensiv unterstützen können. So ein weltweites Netzwerk und die Friedens- und Konfliktforschung müssen als integraler Bestandteil eines nach Frieden strebenden Europas verstanden werden. Sie sind kein nettes Beiwerk einer europäischen Sicherheitspolitik sondern notwendige Vorraussetzung für nachhaltige Sicherheits- und Friedenspolitik.
Auch in der gemeinsamen klassischen Außenpolitik gibt es viel zu gestalten. Anbetracht aufstrebender Mächte wie China und Indien, Aber auch im Vergleich zu den über ihre Region hinaus sehr einflussreichen Golfstaaten oder Russland. Die Machtpolitik die von diesen Staaten und den noch-dominanten USA ausgeht ist keine Blaupause für das, was sich pro-Europäer*innen für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wünschen sollten. Aber sie stellt die EU und Europa vor Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Dazu braucht es eine weitere Stärkung des europäischen Auswärtigen Dienstes, einer noch besseren Koordinierung zwischen den Außenministerien der EU, Entscheidungen des Rates im Mehrheitsprinzip und nicht zuletzt ein zurücktreten nationaler Akteur*innen zu Gunsten der europäischen Außenbeauftragten, damit die EU auf internationalen Bühnen de facto mit einer Stimme sprechen kann.
Die EU an sich ist ein Friedensprojekt - bewahren wir es!
Die EU ist weltweit in ihrer Struktur einzigartig. Sie basiert auf einem Prinzip, das nirgends anders politisch so intensiv und umfänglich gelebt wird: Die Abgabe von Kompetenzen des Nationalstaats um gemeinsame Politik einer supranationalen Souveränität zu ermöglichen. Damit ist die EU zur Zeit die verdichtetste Form des Multilateralismus. International gibt es viele erfolgreiche multilaterale Ordnungen, doch nirgends sind die Verflechtungen zwischen den Staaten so eng, die Ordnung so stabil, die Akzeptanz so hoch. Die EU hat den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie das erfolgreichste Friedensprojekt ist, was es je gegeben hat. Die Bedeutung der EU als Friedensprojekt zu banalisieren bedeutet vor allem, die Gefahr eines neuen großen Krieges in Europa auszublenden. Multilateralismus, Zusammenarbeit auch bei Konflikten und nicht nur als Resultat gemeinsamer (machtpolitischer) Interessen sind Chancen zum Frieden, wie es keine anderen gibt. Dieser Tatsache kann man sich nicht oft genug bewusst sein.
Die EU als Verfechterin des Multilateralismus in Zeiten von ‘America First’
Die Angriffe auf den Multilateralismus als Prinzip, sind die wohl größte Herausforderung unserer Zeit. Weil nichts anderes als das bisschen Frieden, was es schon gibt, auf dem Spiel steht. Gemeinsam mit Menschen auf der ganzen Welt müssen Grüne deshalb in Europa und vor allem in der EU dafür kämpfen, dass dieses Prinzip wieder gestärkt wird.
Das kann die EU nur mit einer gemeinsamen Stimme. Und das ist genau die Definition von Stärke, die Bündnis 90/ die Grünen in die Welt und vor allem in die EU tragen müssen. Die EU, die als höchsten Zweck den Frieden im Inneren hat, muss sich auch um sich selbst kümmern, den inneren Frieden in der EU und Europa fördern und mit gleichem Einsatz im Sinne des Friedens die Welt mitgestalten.
Die Stärke einer gemeinsamen Außenpolitik der EU ist nicht das autoritäre Aufzwingen von Regeln. Es ist, wie in der EU selbst praktiziert, die Verhandlung, das Gespräch und der Kompromiss.
Den Tendenzen zum Totalitären, die in den politischen Entwicklungen in Russland, China, der Türkei, den USA sowie in Teilen Europas zu entdecken sind, muss die EU die Widerstandsfähigkeit eines demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegenstellen.
Demokratie, Rechtsstaate und Menschenrechte sind nicht nur ein hohes Gut für die Bürger*innen selbst, wenn sie gerecht umgesetzt werden, haben sie auch die Strahlkraft Bürger in totalitären Systemen zu inspirieren und zu ermutigen.
Solidarisch nach Innen und Außen
Die europäische Krisenpolitik, sowohl in der Finanzkrise als auch bei den aktuellen Herausforderungen der Migration, hat die Chance auf eine gemeinsame Stimme der EU weiter geschwächt. China, Russland und selbst kleine Staaten wie Aserbaidschan haben diese Stimme durch bilaterale Kooperationen, in denen Investitionen mit politischen Schweigepflichten verknüpft wurden, stumm gemacht. Die Austeritätspolitik fällt der EU nachträglich auf die Füße, die innereuropäische Nicht-Solidarität hat sich in Nicht-Loyalität verwandelt. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Hier wieder Vertrauen zu schaffen muss die höchste Priorität haben - auch zwischen den Gesellschaften. Die Gefahr von stärkeren Verwerfungen zwischen den europäischen Gesellschaften ist noch nicht gebannt.
Eine einige EU ist die Voraussetzung für eine gemeinsame und einheitliche Außenpolitik. Dazu bedarf es der verstärkten Solidarität zwischen den Menschen in der EU, aber auch einer Stärkung der Partizipationsmöglichkeiten in Politikprozessen der EU. Mit der Stärkung der Demokratie und sozialen Integration wird die EU auch nach außen handlungsfähiger. Das muss in der Zukunft das Ziel sein.
Neue Partner*innen suchen und finden
Die EU ist keine militärische Weltmacht und sollte das auch nicht anstreben. Statt sich auf die Stärke der Armee zu berufen, muss sie sich auf die Stärke ihrer Argumente und die Leuchtkraft ihrer sozialen und demokratischen Verfasstheit verlassen.
Der Schutz von Menschenrechten, die zentrale Stellung der Würde des Einzelnen, der Wert der Pressefreiheit, das Streben nach Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, all das macht die EU aus. Mit allen Staaten, die sich diesen Werten weltweit verschrieben haben und - ähnlich wie in der EU - unterschiedlich erfolgreich in der Umsetzung sind, wollen wir weiter an der ihrer Erhaltung und Verbreitung arbeiten. Die Versprechen der Demokratien - Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit- wurden zwar bis heute nirgends vollends verwirklicht, sie bleiben aber richtig.
Die EU muss ihre Partnerschaften nach diesen Werten ausrichten. Das heißt nicht, dass Kooperationen mit Staaten, die keine Demokratien sind, verunmöglicht werden sollen. Im Gegenteil - Multilateralismus ist gerade wegen der unterschiedlichen Systeme von entscheidener Bedeutung. Es ist das einzige Prinzip, dass über Systemfragen hinaus eine Ordnung schaffen kann, die Frieden fördert.
Immer schön authentisch bleiben - Glaubwürdigkeit ist eine Währung
Die europäischen Werte strahlen um so kräftiger, je stärker sie eingehalten werden. Zur Zeit gibt es leider Vieles, was diesem Wertefundament nicht entspricht. So unter anderem eine Flüchtlingspolitik, die auf Abschreckung, Verlegung von Außengrenzen in Drittstaaten und unlauteren Deals mit autoritären Regimen setzt. Diese Politik setzt nicht nur an der falschen Stelle an und bringt unendliches Leid mit sich, sie schadet auch der außenpolitischen Glaubwürdigkeit und damit einer der vermeintlichen Stärken der EU. Genauso kritisch sehen wir die Zusammenarbeit mit Staaten wie China oder Saudi-Arabien, die beide ihren beträchtlichen weltweiten Einfluss nutzen um die an universelle Menschenrechten gebundenen internationalen Standards zu unterlaufen. Rüstungsexporte in diese Staaten lehnen wir ab.
Es liegt im Interesse der EU und vor allem im Interesse von Geflüchteten und Migrant*innen, dass die Lebensperspektiven in unserer Nachbarschaft auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten besser werden. Die kurzfristig angelegte Kooperation zur ’Flüchtlingsbekämpfung’ ist nicht nur politisch falsch, sie läuft auch dem langfristigen Ziel entgegen, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern. Statt autoritäre Regime zu ’ertüchtigen’, sollte die EU ihren Einfluss nutzen um zum nachhaltigen Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen, demokratischer Partizipation und wirtschaftlicher Teilhabe in der Welt beizutragen.
Wir Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen eine starke EU-Außenpolitik. Eine, die auf die das geflügelte Wort der Wertegemeinschaft ernst nimmt und diese zum Maßstab der Beziehungen nach Außen macht.
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